Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1901

Juni Juli August September Oktober November Dezember

3. August 1901

Was der Deutsche ißt, diese Frage ist nicht minder interessant, als die, was er trinkt. An der Hand der Statistik läßt sich ein ziemlich klares Bild von dem Durchschnittsverbrauch wenigstens einzelner Lebensmittel gewinnen, wenn auch für andere, so zum Beispiel die für die Ernährung wichtigen Gemüse, jeder Anhalt fehlt. Beginnen wir mit den in diesen Tagen heiß umstrittenen landwirthschaftlichen Producten, dem Roggen und dem Weizen. Nach amtlichen Angaben standen in dem Erntejahr 1899/1900 pro Kopf der Bevölkerung 144,6 kg Roggen und 89,8 kg Weizen zur Verfügung. Da diese Getreidemenge aber nicht ausschließlich der menschlichen, sondern daneben auch noch der thierischen Ernährung und gewerblichen Zwecken  zu dienen bestimmt war, stellte sich das pro Kopf der Bevölkerung vorhandenen Brodgetreide wesentlich niedriger. Von amtlicher Seite wurde vor etwa einem Jahr der zu Nahrungszwecken erforderliche Getreidebedarf auf etwa 180 kg pro Kopf und Jahr ermittelt. Aber „der Mensch lebt nicht vom Brod allein; es muß auch Wurst und Schinken sein“ wie die bekannten geschmackvollen Verse besagen. Der Deutsche verbraucht gegenwärtig im Jahre etwa 40 kg Fleisch. Zum Würzen der Speisen sind alljährlich pro Kopf der Bevölkerung 7,8 kg Salz erforderlich, zu denen noch 160 g ausländische Gewürze treten. Einer immer mehr steigenden Beliebtheit erfreut sich der Reis. Sein Konsum ist im Laufe von zwei Menschenaltern von 330 g auf nahezu 2 ½ kg gestiegen, also fast auf das achtfache. Auch der Hering weist einen zunehmenden Verbrauch auf. In dem eben genannten Zeitraum hat sich sein Konsum mehr als verdoppelt, so daß zuletzt 3,3 kg auf jeden Einwohner entfielen. An Südfrüchten kamen im Jahre 1900 auf den Kopf nicht ganz 2 kg, ihr Verbrauch hat sich in 60 Jahren auf nahezu das Dreißigfache gesteigert. Schließlich sei, als zum Haushalt, wenn auch nicht zu den Lebensmitteln gehörig, auch auf den gewaltig gesteigerten Petroleumverbrauch hingewiesen. Noch am Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, für welche die ersten statistischen Angaben vorliegen, kann auf den Kopf nur 1,87 kg, 1900 dagegen bereits 16,97 kg,  also etwa das Neunfache! Und das ist geschehen gegenüber der doppelten Konkurrenz von Leuchtgas und Electricität.


8. August 1901

Fischsterben nach Gewitter. Das nach den letzten Gewittern in verschiedenen Gegenden der Provinz Brandenburg eingetretenen große Fischsterben hat die Aufmerksamkeit der Behörden hervorgerufen, und es dürfte jedenfalls eine Untersuchung behufs Feststellung der Ursachen jener Erscheinung eingeleitet werden. Das Massensterben ist nicht nur sofort nach den Gewittern, sondern auch theilweise mehrere Tage später an verschiedenen Orten beobachtet worden. Es liegen derartige Meldungen von der Oberspree (Erkner), Unterspree (Charlottenburg), Havel (Rathenow, Potsdam und Brandenburg) vor. Unter den verendeten Thieren befanden sich auch zahlreiche große und widerstandsfähige Fische, Hechte im Gewicht bis drei Pfund, große Barsche usw. Aale sind, wie hervorzuheben ist, nicht unter den verendeten Fischen bemerkt worden.


9. August 1901

Zu einer Plage scheint sich nachgerade der nächtliche Straßenlärm  herauszubilden. So sind in der letzten Zeit die Anwohner der Klosterstraße wiederholt des Nachts durch Ruhestörer, die allerhand Unfug trieben, aufgeschreckt worden. Auch in der vergangenen Nacht war wiederum die Klosterstraße zum Schauplatz von Raufereien ausersehen worden. Nachdem sich erst um 12 Uhr eine solche Keilerei abgespielt hatte, durchgellten in der 2. Stunde minutenlang anhaltende Hilferufe die nächtliche Stille und versammelten bald ein größeres Publikum um die kämpfenden Parteien. 15 bis 20 Minuten dürfte wohl dieser nächtliche Krieg, dessen Lärm verstärkt wurde durch Brüllen aus vollem Halse, getobt haben. Sollte es denn gar keine Mittel geben, diesen nächtlichen Helden das Handwerk zu legen? Jedenfalls wären alle friedfertigen und ruheliebenden Bürger der Behörde dankbar, wenn sie energisch zugriffe und keine Nachsicht übte. – Die Hauptruhestörer sind übrigens bereits ermittelt und sehen ihrer Strafe entgegen.


14. August 1901

Der heutige Viehmarkt war sehr stark besucht; es waren 1046 Pferde und 2053 Rinder aufgetrieben. Für Standgeld wurden 619,80 Mk. eingenommen.


15. August 1901

Ein Unwetter, wie wir es lange Zeit nicht erlebt haben, suchte gestern unsere Stadt heim. Nachdem einige Gewitter seitwärts vorbeigezogen waren, und uns nur ganz geringfügigen Regen gebracht hatten, zog plötzlich gegen 8 Uhr von Nordwesten her eine düstere Wolkenwand auf, die sich mit unheimlicher Geschwindigkeit näherte. Ein Windstoß, schon mehr eine Art Windhose, brauste einher, mit solcher elementaren Gewalt, daß zahllose alte Bäume entwurzelt oder wie Streichhölzer geknickt wurden. Dann kam endlich der seit Wochen so sehnsüchtig erwartete Regen, leider so heftig, daß er auch manchen Schaden angestiftet hat. In einem Nu standen bei dem ungeheuren, wolkenbruchartigen Guß alle Straßen unter Wasser. In den abschüssigen Straßen, namentlich in der Crossener Straße, verwandelten sich die Rinnsteine in reißende Gebirgsbäche, gewaltige Sandmassen mit sich führend, die theils unten abgelagert, theils bis in den Flußlauf mitgerissen wurden. Immerhin sind die Berge und Berggassen noch ziemlich günstig weggekommen; außer den bei stärkeren Gewitterregen gewöhnlich auftretenden Schäden haben wir größere nicht bemerkt. Um so mehr Schaden hat der heftige Sturm angerichtet. Auf dem Stadthof, dicht vor dem früheren Gefängniß, stand eine gewaltige alte Linde, sie wurde umgerissen; auf dem Spichererplatz am Schweinemarkt wurden 4 starke Akazien umgeweht, auf der Neustadt beim Gymnasium eine alte Kastanie, die im Sturz in dem Hause des Bäckermeisters Weise die Schaufensterscheibe mit ihren Zweigen eindrückte, ebenso wurden am Nachbarhause noch mehrere Scheiben zertrümmert, auf Schneiders Berg wurden mehrere Akazien, bei Schemels Fabrik in der Lubststraße mehrere Obstbäume, an der Lubst einige Weiden umgerissen; noch an vielen anderen Stellen wurden Bäume theils niedergerissen, theils starke Aeste abgesplittert. Zahlreich sind auch die Beschädigungen, die an Häusern angerichtet wurden, fast in allen Straßen prasselten Dachpfannen und Ziegelstücke von den Dächern herab, sogar ein Schornstein wurde eingerissen. Die im Juni 1899 abgebrannte Schlesische Tuchfabrik steht noch als Ruine da, zum Wiederaufbau ist nichts geschehen; der gestrige Sturm hat die nach der Märkischen Straße gerichtet Umfassungsmauer umgerissen; hoffentlich wird die Ruine jetzt völlig abgebrochen werden. Die Triftstraße war, wie immer bei starken Regengüssen, völlig unpassirbar; das Wasser stand fußtief. In niedrig gelegenen Stadttheilen sind viele Keller voll Wasser gelaufen und stundenlang hatten die Einwohner zu thun, das Wasser herauszuschaffen. Eine eigenthümliche Erscheinung wurde noch beobachtet: Unzählige Sperliche lagen, als sich das Unwetter etwas gelegt hatte, theils todt, theils ermattet, auf den Straßen.


17. August 1901

In wenigen Tagen beginnt die Rebhuhnjagd wieder, auf die sich der Waidmann freut wie auf kaum eine andere. Die Meinungen darüber, ob die Jagd in diesem Jahre  eine besonders ausgiebige werden wird, sind noch sehr getheilt. Die Erfahrungen der Jagd selbst können über diese hochwichtige Thatsache auch erst Aufschluß bringen. Hoffentlich ist es ein gutes Jahr, so daß der Rebhuhnbraten nicht ausschließlich den Tisch der reichen Leute ziert, sondern daß sich ihn auch die weniger Bemittelten einmal leisten können. Daß es etwas Schönes ist um solchen Braten, darüber sind sich nicht bloß die Feinschmecker, sondern alle Leute mit normalem Geschmack einig; und das sagt nicht nur die Gegenwart, sondern auch das graue Alterthum hat den Genuß eines Rebhuhnbratens schon zu schätzen gewußt. In der Überlieferung der Alten findet man sogar ganz genaue und recht beachtenswerthe Angaben, wie das gepriesene Huhn zuzubereiten sei, um den leckeren Braten zu liefern und wenn die moderne Kochkunst es auch nicht nöthig hat, zu den alten Römern und Griechen zu greifen, um den culinarischen Hochgenuß herzustellen, so ist er doch immerhin interessant, daß in den Fragen des Geschmacks sich die Völker gleich belieben, und daß die Alten den Dingen, die gut schmecken, die gleiche Werthschätzung entgegenbrachten, die wir für sie heute noch übrig haben. Natürlich kann man auch mit einem Rebhuhnbraten, wie mit allen anderen Sachen auf der Welt, unter Umständen gehörig hineinfallen, und zwar dann, wenn die Köchin oder der Koch den unmöglichen Versuch angestellt hat, aus einem alten und zähen Huhn einen saftigen und zarten Braten herzustellen. Die Katze, die der Jäger schoß, macht nie der Koch zum Hasen. Da muß man eben Kenner sein und die Spreu von dem Weizen zu unterscheiden verstehen. Unsere Jäger und Kaufleute kennen die untrüglichen Zeichen, an denen man die jungen Hühner von den alten unterscheiden kann, und wer Werth darauf legt, kann es von ihnen leicht erfahren.


18. August 1901


22. August 1901

Ein vielversprechendes Früchtchen ist der 13jährige Schulknabe Böhme,  kl. Kirchstraße, der in den letzten 8 bis 14 Tagen eine Reihe Diebstähle ausgeführt hat, wobei ihm zum Theil recht ansehnliche Beträge in die Hände gefallen sind. So entwendete er im Hause Neustadt 39 35 Mark, Frankfurterstraße 14 30 Mark, in einem anderen Hause der Frankfurterstraße 30 Pfennig, Wilkestraße 17 98 Mark. Ferner hat er in einem Restaurant in der Crossnerstraße Semmelbeutel gestohlen und außerdem in der Baderstraße eine Wohnung durchwühlt, ohne baar Geld, worauf er es wohl abgesehen hatte, zu finden. Zumeist hatte er die betreffenden Wohnungen mittels Nachschlüssels geöffnet.  Bei dem Diebstahlsversuch in der Baderstraße wurde er zufällig im Hausflur gesehen, sodaß wenigstens eine Beschreibung des Burschen der Polizei gegeben werden konnte. Heute Vormittag sah Herr Polizeisergeant Kelm in der Berliner Straße einen Jungen, auf den die Beschreibung paßte, auf der Bahnböschung sitzen. Er versicherte sich seiner und hatte in der That den Dieb erwischt. Böhme wollte nach Berlin fahren, er hatte schon beabsichtigt, mit dem Schnellzuge zu fahren, gab diese Absicht dann aber auf und wartete auf den nächsten Personenzug. Er hatte das gestohlenen Geld zum größten Theile schon durchgebracht, nur von dem letzten Diebstahl, den er heute früh in der Wilkestraße verübte, wobei ihm 98 Mark in die Hände gefallen waren, hatte er noch 73,45 Mark übrig. Im Besitze des vielversprechenden Burschen wurde auch ein Schulentschuldigungszettel gefunden, den er sich selbst geschrieben, aber noch nicht seinem Klassenlehrer zugeschickt hatte.


30. August 1901

Zur neuen Orthographie. Wie dem „Leipziger Tageblatt“ mitgetheilt wurde, hat der Leiter der Reform-Bewegung für die deutsche Rechtschreibung, Direktor Dr. Duden in Hersfeld (Hessen-Nassau), der mit der Ausarbeitung des neuen orthographischen Wörterbuches betraut ist, auf die Anfrage eines um die Schreibweise seines neuen Lehrbuches verlegenen Schulmannes geantwortet, daß für die 1902 zur allgemeinen Einführung bestimmten Änderungen alle Einzelheiten noch nicht festständen, daß aber jedenfalls das th aus allen ursprünglich deutschen Wörtern, und das ph aus Wörtern wie „Epheu“ zu Gunsten des f verschwinden werden


31. August 1901

Nur 8 Grad R. zeigt noch das Thermometer an. Noch vor kurzer Zeit seufzte noch Jedermann über die drückende Hitze, und nun klagt man über allzu kühle Nachsommertage. Schon erinnert man sich plötzlich des längst vergessenen Hausfreundes, der stumm und kalt in der Ecke steht und darauf wartet, wieder zu Ehren gebracht zu werden. Es ist der Zimmerofen, der bald in heißer Glut entbrennen wird, wenn die Vorbereitungen  für die Wiederaufnahme seiner Arbeit getroffen sind. Unter den zahlreichen Öfen ist er sozusagen der Aristokrat; eine geraume Zeit des Jahres hindurch führt er ein behagliches Faulenzerleben und sieht von seiner stolzen Höhe verächtlich herab auf das Heer seiner Kollegen, die sich in Küchen und Backstuben, in Werkstätten und Fabriken als echte Proletarier Tag für Tag plagen und quälen müssen. Aber eine lange Untätigkeit fördert nicht die Gesundheit, das weiß die Hausfrau, die jetzt darauf dringt, daß sachkundige Leute den vornehmen Herrn auf seinen Zustand genauer untersuchen und etwaige Gebrechen heilen. Der Arzt ist in diesem Falle der Töpfer, für den nunmehr die Hochsaison gekommen ist und der mit Gehilfen und Lehrlingen anrückt, um zu sehen, ob die Oefen guten Zug haben. Wenig freudige Gefühle beseelen den ehrsamen Familienvater, wenn er zu Hause eintrifft und erfährt, daß die Töpfer ihres Amtes walten. Etwas bunt sieht es dann mitunter in den Stuben aus. Doch in um so schönerem Glanze erstrahlt später der wohlgereinigte und wohlgeschmierte Ofen, auch er ist ein Beweis dafür, daß der Weg zum Licht und zur Wärme durch Nacht und Dunkel geht.