1901
Juni Juli August September Oktober November Dezember1. November 1901
Quousque tandem? [ Wie lange noch? ]
Wie lange noch wird die Geduld der Bürgerschaft gemißbraucht werden? Den scandalösen Anblick der Steinerschen Ruine haben wir bis beste Aussicht, noch Jahre lang genießen zu dürfen. Immer neue Mittel werden ersonnen, damit diese scheußliche Verunzierung, die Guben schon zum Gespött in allen Nachbarstädten und bei allen Reisenden gemacht hat, die unsere Stadt besuchen, nur ja noch recht lange erhalten bleibt. Dem Vernehmen nach ist die Besitzerin jetzt mit der Schutzmauer nicht zufrieden, weil sie angeblich eine andere Fluchtlinie inne hat als die alte Mauer hatte. Dabei bedenke man, wer die Mauer gebaut hat, nämlich Niemand anders als die Besitzerin des Grundstücks selbst! Die Stadt hat ihr zum Bau der Mauer eine Beihilfe des Staates ausgewirkt in Höhe von 19000 Mark, die der sonst wahrlich nicht freigebige Fiskus auf Befürwortung der städtischen Behörden hergab unter der Bedingung, dass die Stadt die Garantie für eine recht sorgfältige Ausführung des Baues übernehme, den die Besitzerin selbst ausführen lassen musste, während ein staatlicher höherer Baubeamter die Oberaufsicht führte. Aus welchen Gründen die frühere Fluchtlinie nicht ganz innegehalten wurde, wissen wir nicht, vielleicht der Brücke wegen, vielleicht ist man unten auf schwer zu beseitigende Hindernisse gestoßen. Die Abweichung ist nur ganz geringfügig. Seit einem vollen Jahre ist die Mauer fertig, jetzt kommt die Besitzerin mit diesem neuen Einwand, der natürlich nur das Resultat hat, eine endliche Regelung der Angelegenheit aufs Neue ins Unabsehbare zu verschleppen. Was nach Erledigung dieses Streitpunktesausgedacht werden wird und wie lange das angenehme Spiel noch fortgesetzt werden wird, das wären wir wirklich neugierig zu wissen. Trotz des größten Entgegenkommens der städtischen Behörden sind der Stadt in dieser Angelegenheit auf Schritt und Tritt die größten Schwierigkeiten bereitet und mit einem Eifer verfochten worden, der einer besseren Sache würdig wäre, als der Erhaltung eines eingestürzten Hauses in einem Zustande, der eine gräuliche Verunzierung der Stadt bildet. Wenn die städtischen Behörden diesen Verlauf der Sache geahnt hätten, sie hätten sich bedankt, eine Garantie für den Bau der Mauer zu übernehmen; die Besitzerin wäre dann gezwungen worden, zum Schutze der Straße und der Nachbargrundstücke die Mauer aus eigenen Mitteln zu errichten. In einigen Monaten sind fünf Jahre seit dem Einsturz des Hotels verflossen, es sieht ganz so aus, als ob wir auch noch das 10 jährige Jubiläum des Bestehens der Ruine werden feiern können.
6. November 1901
7. November 1901
Der heutige Viehmarkt war mäßig beschickt. Es waren 937 Pferde und 830 Rinder aufgetrieben. Für Standgeld wurden 353,40 Mark eingenommen.
8. November 1901
Ein Seeadler (Haliaêtus albicilla) wurde vor einigen Tagen vom Oberförster Herrn Krause-Rattel erlegt. Dieser schöne Vogel hat eine Flügelspannung von 230 ctm und wurde zum Ausstopfen dem Präparateur Herrn Menzel in Guben zugesandt.
12. November 1901
Zum Bau der Bahn Forst - Guben schreibt das Forster Tageblatt: ,,Vom Bahnbau Forst – Guben verlautet herzlich wenig. Selten ist es, wenn irgend eine Meldung in das Publikum durchsickert. Seitdem die Trace durch Fähnchen und Merksteine abgedeckt wurde, ist keine Nachricht mehr bekannt geworden. In welchem Stadium sich die Aufbringungsangelegenheit der Kosten für den Grunderwerb zur Zeit befindet, darüber weiß Niemand genaue Auskunft zu geben. Da wird das Schwesterprojekt der Eisenbahn Christianstadt – Grünberg, das zugleich mit dem lange erstrebten Projekt Guben – Forst vom Landtag genehmigt wurde, lebhafter gefördert. In der letzten Grünberger Stadtverordnetensitzung wurde die amtliche Mittheilung gemacht, dass die Inangriffnahme des Baues der Eisenbahnstrecke Christianstadt – Grünberg im nächsten Frühjahr zu erwarten sei. Wenigstens wird Seitens der Eisenbahn- Direktion Breslau Alles aufgeboten werden, um die Vorarbeiten bis dahin zu bewältigen. – Das ist erfreulich. Wie viele feiernde Hände erhalten dadurch in dieser schweren Zeit der Noth wieder Beschäftigung und für die geleistete Arbeit den Verdienst. Könnte das nicht auf der Strecke Forst – Guben auch der Fall sein?’’ – Dieser Auslassung gegenüber können wir nur wiederholen, was wir bereits vor mehreren Wochen mittheilten, dass die generellen Vorarbeiten für die Strecke Guben – Forst beendet und die speziellen Vorarbeiten in Angriff genommen sind. Im Frühjahr nächsten Jahres wird aller Voraussicht nach ebenfalls mit dem Bau begonnen werden; es besteht sogar die Hoffnung, dass schon im Sommer 1903 die Strecke theilweise wird dem Betrieb übergeben werden können.
14. November 1901
Der in Berlin seit 8 Jahren bestehende Verein der Gubener feierte Sonntag, den 10.d. Mts. in seinem Vereinslokale Hotel Krebs, Niederwallstraße 11, ein ,,Weinlesefest in Guben.’’
Nachdem der Vorsitzende, Kaufmann Bernhard Koch, die zahlreich Erschienenen – wohl über 150 Personen – im prächtig dekorirten Saale herzlich begrüßt und auf die Feier eines so schönen Festes, das ein großer Theil der älteren Mitglieder des Vereins auf Gubens schönen Bergen so oft gefeiert, hingewiesen hatte, wurde dasselbe durch eine Reihe von Vorträgen und schönen Gesängen eingeleitet. Alsdann fand ein Umzug der zahlreich erschienenen und reizend kostümirten Winzerinnen und Winzer statt, dem sich ein Tanzreigen bis fast zum frühen Morgen anschloß. Das Fest kann als ein wohlgelungenes bezeichnet werden, hat es doch dem Vereine , der bisher einige fünfzig Mitglieder zählte, eine stattliche Zahl neuer lieber Landsleute zugeführt. Zweck und Ziele des Vereins bestehen darin, den in Berlin und seinen Vororten ansässigen frühere Gubenern einen engeren Anschluß zu ermöglichen und alte liebe Jugenderinnerungen auszutauschen.Daß ihm das bisher vollauf gelungen ist, hat das so schön verlaufene Weinlesefest wiederum auf’s beste gezeigt.- Der Verein hat bereits eine Sterbe– und Unterstützungskasse ins Leben gerufen. Monatlich findet Zusammenkunft mit Damen und eine solche der Mitglieder zur Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten statt; letztere immer am ersten Sonnabend nach dem 15.
15. November 1901
Einer wild gewordenen Kuh, die sich 2 Leuten des Fleischermeisters S. gestern auf dem Zindelplatz entrissen hatte, stellte sich der Arbeiter L. aus der Kupferhammerstraße entgegen. Das Thier faßte ihn jedoch mit den Hörnern und schleuderte ihn mit Wucht zu Boden, sodaß er einige Löcher im Kopfe davontrug. Mehrere andere Personen wurden von der Kuh noch überrannt, bis endlich der Fleischer H. sie beim Schwanze packte und mit aller Kraft festhielt, worauf mehrere Personen sich auf das Thier stürzten, das nun endlich gebändigt wurde.
Groß Gastrose: Auf zur fröhlichen Saujagd, so hieß die Losung, mit der Fabrikbesitzer Herr E. Lehmann seine Jagdgesellschaft nach Bärenklau berief. Trotz des strömenden Regens schien das Jagdglück ein ganz besonders günstiges zu werden. Fanden sich doch auf einem kleinen Saatkamm 10 Schweine. Ein seltener Stern schien einem bekannten Nimrod zu leuchten. 5 der schwarzen Borstenthiere kamen in seine Schußweite. Sie schienen aber einen derartigen gewaltigen Eindruck auf ihn zu machen, daß er gar nicht zu wissen schien, daß man auf diese Thiere auch schießen darf. Wohl sandte er ihnen endlich zwei freundliche Grüße noch nach, die jedoch ihr Ziel verfehlten. Geschossen wurden nur 3 Sauen, 3 Rehböcke, 1 Ricke, 24 Hasen und 11 Kaninchen.
16. November 1901
Aus dem westlichen Theile unserer Landschaft, den Gemeinden Schlagsdorf, Kaltenborn, Kerkwitz, werden Klagen laut, die ihre Ursache in der Überschwemmung ihrer Forsten durch Leute haben, welche unter der Angabe des Pilzesuchens sich in den betreffenden Gemeindewäldern umhertreiben. Das Pilzesuchen ist bekanntlich nur gegen eine immer mit sich zu führende Legitimation der Waldbesitzer gestattet. Es werden indessen von gedachten, die erwähnten Forsten unsicher machenden Leuten trockene Bäume, Kienfichten bei dieser Gelegenheit abgeschnitten, Schlingen auf Hasen und Rehe gestellt und es ist in einzelnen Fällen sogar auf Wild geschossen worden. Von diesen Delicten ist bereits an maßgebender Stelle Meldung geschehen und die Polizeiorgane sind zu strenger Verfolgung und Bestrafung Zuwiderhandelnder angewiesen worden. Wir hoffen, dass vielleicht diese Zeilen dazu beitragen werden, jenem ungesetzlichen Treiben auf gen. Gemeindefluren Einhalt zu thun.
17. November 1901
In Gefahr niederzubrennen schwebte gestern Abend unser Stadttheater. Kurz vor Beginn des Lutherfestspiels, beim Anzünden der Gaslampen, was mittels eines Spiritusanzünders geschieht, wurde die Draperie an einer Seite von einer Flamme erfaßt und brannte sofort lichterloh; die Flamme verbreitete sich mit Blitzesschnelle, besonders züngelte sie nach oben. Es war ein kritischer Moment. Die bereits anwesenden Mannschaften der Feuerwehr griffen jedoch mit großer Umsicht und Entschlossenheit ein, und es gelang ihnen, das Feuer zu bewältigen und eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Plötzlich, die Hauptgefahr war bereits beseitigt, ergoß sich unerwartet ein ungeheurer, armdicker Wasserstrahl ins Theater, alles überschwemmend. Wie es gekommen, ist wohl nicht recht aufgeklärt, wahrscheinlich war ein Verschlußstück am Wasserleitungsrohr, an das der Schlauch der Feuerwehr angeschraubt wird, durch den Druck des Wassers losgerissen. Gewaltige Wassermassen ergossen sich ins Theater und es dauerte geraume Zeit, bis es gelang, das Wasser abzusperren und diesem unerbetenen Wasserzufluß ein Ende zu bereiten. Vornehmlich diese Ueberschwemmung machte die Aufführung für diesen Abend unmöglich. Ein Glück war es, dass sich der Vorfall ereignete, ehe das Publikum im Theater war; in dem vollbesetzten Hause hätte leicht eine verhängnißvolle Panik entstehen können. Von dem Feuer sind nicht nur verschiedene zu dem Festspiel gebrauchte Dekorationsstücke beschädigt sondern auch beide Vorhänge, sowohl der Hauptvorhang, wie der Zwischenaktsvorhang, sind unbrauchbar geworden. Es war anfänglich beabsichtigt, schon Sonntag die Vorführungen wieder aufzunehmen, es hat sich aber doch die Nothwendigkeit einer mehrtägigen Pause herausgestellt, sodaß die nächste Vorstellung erst Dienstag Abend stattfindet.
19. November 1901
Raddiebstahl: Aus dem Hause Schulstraße 13 wurde Sonnabend ein Fahrrad gestohlen. Der Dieb fuhr damit zunächst nach Wellmitz und von dort mit der Bahn nach Fürstenberg. Der Bestohlene hatte inzwischen in Erfahrung gebracht, daß auf der Neuzeller Chaussee ein verdächtiger Radler bemerkt worden sei; er telegraphirte nach Neuzelle, von hier wurde das Telegramm nach Fürstenberg weitergegeben, wo beim Aussteigen aus dem Zuge der Dieb gleich festgenommen wurde. Er wurde nach Guben zurücktransportirt und dem Bestohlenen das Rad wieder ausgehändigt. Der Dieb ist ein Tischler und Schiffer Franz Bürger; man glaubt in ihm einen gewerbsmäßigen Fahrraddieb ergriffen zu haben.
22. November 1901
Der Fernsprechverkehr zwischen Guben einerseits, Bottschow, Calau, Kriescht, Sternberg (Bezirk Frankfurt a.O.) und Friedeberg (Neum.) andererseits ist eröffnet worden. Die Gebühr für ein gewöhnliches Dreiminutengespräch beträgt im Verkehr mit Bottschow 25 Pfennig, Friedeberg 1 Mark und den übrigen Orten 50 Pfg.
24. November 1901
27. November 1901
Der erste Schnee: Heute früh wirbelten die ersten Schneeflocken vom Himmel herab. In kurzer Zeit waren, da es während der Nacht ein wenig gefroren hatte, Straßen und Dächer, Bäume und Sträucher mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt, sodaß die Natur ein recht winterliches Aussehen zur Schau trägt, das allerdings schwerlich lange Bestand haben wird. Der heutige 26. November ist übrigens nach Falb ein kritischer Tag erster Ordnung.