Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1909

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4. Mai 1909

Am vergangenen Sonntage verstarb im 68sten Lebensjahre Herr Stadtrat a.D. Friedrich Adolf Huschke, der schon vor etwa zwei Jahren wegen andauernder Kränklichkeit seine sämtlichen städtischen Aemter hatte niederlegen müssen. H. war kein Sohn unserer Stadt. Er war aus dem Hessischen hierher in den 60er Jahren gekommen und nach seiner Verheiratung mit einer Tochter des Herrn Fabrikbesitzers H. Schemel sen. als Teilhaber in die Schemel´sche Fabrik eingetreten, ein Verhältnis, das später gelöst wurde, als er die Klostermühle übernahm. Beseelt vom regsten Interesse für jede geistige Bewegung auf städtischem, staatlichem und kirchlichem Gebiete hat H. sich in jüngeren Jahren lebhaft an allen gemeinnützigen Bestrebungen beteiligt. Von strengster Rechtlichkeit und Sittenreinheit war er ein eifriger Vorkämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht und eine Zeit lang die Seele der ganzen Wahlbewegung, wobei er für die liberale Sache manches Opfer gebracht hat, ebenso auch für die Fortbildungsschulsache und die Gesellschaft für Volksbildung. Dem Kuratorium der Fortbildungsschule und der Schuldeputation hat er lange Jahre angehört. Erst Stadtverordneter, dann gegen 15 Jahre Stadtrat, ist er nachmals Vorsitzender der Schlachthaus- und der Verschönerungsdeputation gewesen. Mit zunehmendem Alter hielt er sich von aktiver Beteiligung am öffentlichen Leben meist fern, ohne das Interesse daran zu verlieren, so wenig wie sein Interesse für die Arbeiter und die Arbeiterfrage erlahmte. Wieviel Gutes er da und an anderen Stellen im stillen getan, entzog sich der öffentlichen Kenntnis. Sein Gedächtnis wird bei allen, die ihn näher gekannt haben, in Ehren bleiben.


5. Mai 1909

Groß-Gastrose. (Altertumsfund). Auf dem Revier des Fabrikbesitzers Lehmann wurde beim Pflanzen ein heidnisches Gräberfeld aufgefunden. Mehrere gut erhaltene kleinere und größere Urnen konnten, wenn auch mühsam, so doch unversehrt geborgen werden. Die größeren Urnen waren bis an den Rand mit Knochen gefüllt. In jeder der Urnen befand sich ein kleines Stück Metall. Professor Jentsch aus Guben ist von dem Funde benachrichtigt worden und hat ihn bereits besichtigt.


8. Mai 1909

Für den Baumblüten-Sonderzug aus Berlin waren gestern bereits 900 Fahrkarten verkauft. Da noch immer Nachfrage nach Fahrkarten besteht, ist mit dem Besuch von 1000 Ausflüglern allein aus Berlin am Sonntag zu rechnen. Dazu kommen die Sonderzüge aus Forst, Cottbus und Frankfurt a.O., die voraussichtlich ebenfalls große Mengen Besucher nach Guben führen werden!  … Der Sonderzug wird mit Musik auf dem Bahnsteig empfangen und die Ausflügler werden durch den Tunnel zunächst in den Garten des Hotels Kronprinz geleitet. Die Gäste werden dort in Gruppen geteilt und unter Führung von Gubenern auf verschiedenen Wegen in die Berge und zu den schönsten Aussichtspunkten geführt. Zum Mittagessen und ebenso zum Kaffee werden sie auf die verschiedenen Bergrestaurants verteilt. Nachmittags werden die Spaziergänge fortgesetzt und über Poetko geht es dann zum Schützenhause, wo von 6 bis gegen 8 Uhr Freikonzert der Stadtkapelle stattfindet. Mit Eintritt der Dunkelheit wird der Park illuminiert, bis die verschiedenen Sonderzüge die Gäste wieder in die Heimat entführen.


11. Mai 1909

Der Bismarckturm ist gestern von weit über 3000 Personen bestiegen worden. Es wurde für die Besteigung des Turmes eine Einnahme von 311,40 M. erzielt.  Der Turm ist während der Baumblütenperiode wochentags von 7 bis 11 Uhr vormittags und von 3 Uhr nachmittags bis zum Dunkelwerden, an Sonntagen von früh bis abend ohne Unterbrechung für das Publikum geöffnet.

Der gestrige Baumblütensonntag hat die umfassenden Vorbereitungen zur Heranziehung von Fremden in unsere im Frühlingsschmuck prangenden Obstberge nicht zu schanden werden lassen. Es herrschte ein Fremdenverkehr, wie er hier wohl noch nicht beobachtet worden ist…. Auf dem Bahnhofe herrschte schon vom frühen Morgen starker Verkehr, da alle fahrplanmäßigen Züge mit Ausflüglern in die Gubener Baumblüte stark besetzt waren. Nach 9 Uhr nahm der Menschenandrang einen kolossalen Umfang an, da im Zeitraum von etwa 40 Minuten 4 Sonderzüge einliefen und viele Hunderte Zuschauer sich auf dem Bahnsteige eingefunden hatte…Im ganzen wurden gestern mit der Bahn rund 5000 Menschen nach Guben befördert. Von dieser Zahl entfallen auf die Sonderzüge: Aus Berlin 930, Frankfurt a.O. 223, Forst 420, Cottbus 130 Fahrgäste. 1900 Bahnsteigkarten wurden auf dem Bahnhofe ausgegeben. Möchte es allen Besuchern unserer schönen Neißestadt gefallen haben und sie daraus die Anregung schöpfen, alljährlich mindestens einmal zur Baumblüte wiederzukehren.


19. Mai 1909

Zirkus Charles gab gestern abend seine Eröffnungsvorstellung vor einem etwa 2500 Köpfe zählenden Publikum. Der Zirkus gehört mit zu den größten Wanderzirkussen, und er verfügt auch über eine Anzahl recht tüchtiger Kräfte. Die ganze Aufmachung im Arrangement der Plätze, Beleuchtung, Bedienung etc. macht einen gediegenen Eindruck, ebenso sind die Kostüme der Künstler geschmackvoll und elegant. An dem eigentlichen zirzensischen Teil haben wir leider die hohe Schule in der Dressur vermisst, auch einige wirklich neue Pferdedressurakte, die in ein so vielseitiges Programm, wie es der gestrige Abend bot, eigentlich hineingehören.  Das Rückwärts- und Vorwärtsvoltigieren des Herrn Francois war eine tüchtige Leistung.  Miß Ella ist eine Künstlerin von sympathischer Erscheinung, ihr Spiel auf dem galoppierenden Pferde ist verblüffend. Herr Bennoit Ahlers führte vier prächtige Rappen in Freiheit vor, desgleichen ein niedliches Zwergpony und eine Dogge, deren Künste von drolliger Wirkung waren. Ein erstklassiger Saltomortalreiter ist Herr Arsène, dessen Exerzitien spannend sind. Hierauf folgte die Vorführung eines in Freiheit dressierten Zebras. Von außerordentlicher Kühnheit ist der vierfache Jockeyritt der Reiterfamilie Cardinale (1 Dame, 3 Herren), eine Nummer, die aus dem equestrischen Teil des Programms wohl als die glänzendste bezeichnet werden darf. Die Gelehrigkeit des Elefanten bewies „Charly“, der wunderliche Dickhäuter, von Herrn Fernando vorgeführt. Eine Spezialität von reizender Drolerie  sind die von Herrn Fernando dressierten Hunde, Affen und Kätzchen, deren Vorführung überall die gleiche Heiterkeit hervorrufen wird.  Da die letzten Nummern des recht reichhaltigen Programms die Vorführung der dressierten Raubtiere bringen, wird die ganze Manege mit einem hohen Eisengitter umgeben. Die Künste der Seelöwen machen ihrem Dresseur, Herrn Direktor Charles, alle Ehre. Mit großer Spannung erwartet man das Auftreten der Miß Charles mit ihren 14 Berberlöwen. Die mutige junge Dame hat die Bestien, die vielfach in wüstes Geheul ausbrechen, in voller Gewalt, sie zwingt selbst die widerspenstigsten, ihre Kunststücke auszuüben. Die Schlußnummer ist eine Eisbärengruppe, die sich in allen möglichen Kunststückchen produziert, deren Höhepunkt der Abrutsch von einer steilen Bahn ist. -  Allen Nummern wurde tüchtig applaudiert. Die Pausen füllten die unvermeidlichen Clowns aus, deren Witze allerdings auf Originalität keinen Anspruch machen können. Alles in allem kann das Programm als befriedigend bezeichnet und der Besuch empfohlen werden.