1904
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember1. Januar 1904
Die Straßenbahn wird voraussichtlich in 5 bis 6 Wochen in Betrieb gesetzt werden können. Das Schienengeleise ist soweit fertig, nur über die Brücke, die über die Eisenbahn führt, konnte es noch nicht gelegt werden, diese muß vorher verstärkt werden, was wahrscheinlich durch einzelne Träger, ähnlich wie bei der Neißebrücke, geschehen wird. Der Wagenschuppen ist fertig, die Wagen sind im Bau und werden in einigen Wochen eintreffen.
6. Januar 1904
Bremsdorf: Jüngst wurde aus Glowe bei Friedland gemeldet, daß dort ein Seidenschwanz geschossen worden sei. Dazu wird in der Fr. Od.-Ztg. geschrieben, daß in der Nähe der Bremsdorfer Mühle schon seit vielen Wochen nicht nur Seidenschwänze in ganzen Scharen, sondern auch andere ausländische Vögel, die ihre Heimat im hohen Norden, meist in Sibirien haben, und nur selten im Winter nach Deutschland kommen, beobachtet werden können. Für Vogelliebhaber ist dies umso interessanter, als diese Vögel nicht scheu sind, also ganz aus der Nähe betrachtet werden können. Die Umgebung der Bremsdorfer Mühle, das Schlaubethal, ist allerdings für diese Fremdlinge ein sehr geeigneter Aufenthaltsort. Begrenzt von den herrli-chen fiskalischen Wäldern der Oberförsterei Dammendorf und Siehdichum, die mit Seen durchzogen sind, gewährt das Tal jenen Vögeln nicht nur den nötigen Schutz, sondern sie finden auch an den verschiedensten Beerensträuchern ergiebige Nahrung. Vögel, die im Sommer selten oder gar nicht vorkommen, können hier in ihrem prächtigen Wintergefieder beobachtet werden.
7. Januar 1904
Die Kosterkirche, deren Aeußeres im vorigen Jahre erhebliche Ausbesserungen erfahren hat, wird auch mit einer neuen Orgel ausgestattet werden. Die Herstellung erfolgt unter Benutzung einzelner brauchbarer Teile des bisherigen Werkes in der Sauerschen Orgelbauanstalt in Frankfurt a. O.
8. Januar 1904
Zu der gestrigen Notiz über eine neue Orgel in der Klosterkirche erhalten wir eine Berichtigung, daß diese Nachricht verfrüht ist; bisher hat die kirchliche Gemeindevertretung auf ein Gutachten der Firma Sauer, das der Gemeindekirchenrat eingefordert hatte, beschlossen, eine neue Orgel in Aussicht zu nehmen, ohne sich indessen irgendwie zu binden. Zunächst bedarf es dazu der Genehmigung des hiesigen Magistrats als Patron, die bisher noch nicht einmal nachgesucht ist, da die Verhandlungen noch in den Anfängen stehen. Vor 1906 kann die Kirchengemeinde nicht daran denken, dies Werk in Angriff zu nehmen, da sie bis dahin noch anderweitig gebunden ist. Daß eine neue Orgel für die Klosterkirche notwendig ist, hat allerdings der letzte Herbst gezeigt, indem das Werk teilweise oder gänzlich wiederholt versagte.
10. Januar 1904
Standesamts-Statistik: Im Jahre 1903 wurden in Guben 912 Kinder geboren, darunter 89 uneheliche. Gestorben sind 619 Personen inkl. 42 Totgeburten. Ehen sind 299 geschlossen worden.
Das benachbarte Rittergut Grano ist durch Kauf von dem bisherigen Besitzer Walter Stettiner auf den Landwirt Johannes Weber übergangen.
Schenkendöbern: Am zweiten Weihnachtsfeiertage brannte in Schenkendöbern das Wohnhaus des Tischlermeisters und Musikus Neumann ab, ohne daß die Ursache des Brandes festgestellt werden konnte. Eine kürzlich vorgenommene Nachforschung hat den Verdacht vorsätzlicher Brandstiftung in hohem Grade wahrscheinlich gemacht. So wurden in der Scheune des N. unter Stroh versteckt außer Tischlerhandwerkszeug und Musikalien eine Menge anderer Sachen gefunden, die jedenfalls vor dem Brande dort untergebracht worden waren.
16. Januar 1904
Gebrauch aus alter Zeit: In Görlitz wurde dieser Tage der Vater eines von der Strafkammer Verurteilten in eine sofort vollstreckbare Ungebührstrafe von zwei Tagen genommen, weil er - im Zuhörerraume befindlich - nach Schluß der Verhandlung die Auflage als eine Lüge bezeichnet hatte. Beim Lesen dieser Tatsache wurden wir an einen alten Brauch erinnert, über welchen der Professor Dr. Sausse, seinerzeit Prorektor des Gymnasiums zu Guben, im Osterprogramm 1864 wie folgt berichtete: "Der Gubener Bürger und Schiffer Elias Schockvar wurde 1531 wegen wörtlicher Beleidigung gestraft, weil er, in einem Rechtshandel unterlegen, aus Ärger darüber zu unpassender Zeit vor Bauern auf dem Markte, den Stadtrichter, welcher ihn verurteilt hatte, gescholten hatte. Es geschah dies am Montage nach der Sonnabends erfolgten Verurteilung, also "zu unpassender Zeit", weil altem, gubischem Gebrauche gemäß der Verurteilte seinen Ärger über den Richter, der ihn verurteilt hatte, 24 Stunden lang nach der erfolgten Verurteilung, aber nicht eine Minute länger, in Schelten und Schmähen auslassen durfte. Diesen wunderlichen Gebrauch, der - wie ich auf einer Reise vor ungefähr 47 Jahren gehört zu haben ich mich erinnere - auch in südlichen Gauen Deutschlands und in der deutschen Schweiz einst bekannt gewesen sein soll, schaffte die kursächsische Regierung um 1650 ab, indem sie dem Rat der Stadt Guben wider dessen Gutachten und Wissen nötigte, jede gegen einen Richter vom Verurteilten ausgestoßenen Schmähung, gleichviel zu welcher Zeit, als eine Beleidigung des unantastbaren richterlichen Amts zu strafen. Der Rat hielt für besser, daß der Verurteilte 24 Stunden hindurch seinem Ärger offen Luft machte, als längere Zeit in geheimen Verdächtigungen und üblen Nachreden, die wegen Mangels an willigen Zeugen nicht leicht gerügt werden könnten." - Professor Sausse fügte am Schlusse seiner Mitteilung folgende lakonische Bemerkung hinzu: " Solche Freisinnigkeit des Rates wird im Laufe des 18. Jahrhunderts vermißt."
Die Niederlausitzer Tuchfabrikation zu Anfang des Jahrhunderts
Zu diesem, vor einigen Tagen besprochenen Thema wird im Forst. Tagebl. geschrieben: Guben hatte im Jahre 180 bei 5214 Einwohnern 98 Tuchmacher (wovon 55 auf eigenen Rechnung, 18 für Lohn und 25 als Gesellen arbeiteten), 7 Tuchbereiter und 4 Färber. In Spremberg hantierten bei 1800 Einwohnern 84 Tuchmacher, 40 Tuchknappen und 6 Tuchscherer. Die Tuchmacher vertrieben ihre Waren auf den Leipziger und Braunschweiger Messen und auch im Auslande, besonders nach Triest. Von 1794 bis 99 fertigte man über 112300 Stück. Viele der ärmeren Bewohner lebten nur von den Arbeiten für die Tuchmacher. Sorau mit 3454 Einwohnern beschäftigte 80 Tuchmachermeister mit einer ziemlichen Anzahl Gesellen. Jährlich wurden gegen 2600 Stück des Stück am Werte von 20 Talern gefertigt. Von 1794-99 lieferte Sorau über 12100 Stück. Außer den Meistern lieferte die Petrische Manufaktur (eine Art Fabrik), die 100 Menschen beschäftigte jährlich 2 bis 300 feine Tuche. Die meisten Tuche gingen nach Italien, durch die Leipziger Messe durch ganz Deutschland, nach Schweden, Rußland und selbst nach Nordamerika. Den jährlichen Bedarf an Wolle schätzte man auf 4000 Stein (1 Stein = 20 Pfund). Sie wurde größtenteils aus Südpreußen bezogen. Der Wollhandel gehörte deshalb zu den bedeutendsten Erwerbszweigen von Sorau und wurde am stärksten von Kaufmann Uhse betrieben. In Kirchhain fertigten 18 Tuchmacher und 3 Tuchscherer von 1794-99 3500 Stück Tuche. Forst, das später zur größten Tuchfabrikstadt Deutschlands aufblühte, hatte im Jahre 11798: 1393 Einwohner, davon waren 19 Tuchmacher mit 12 Stühlen und 34 Leineweber mit 46 Stühlen. Von der Wollspinnerei für in- und auswärtige Tuchmacher nährten sich besonders viele Frauen.
22. Januar 1904
Im hiesigen Gefängnis wird das Personal infolge der starken Belegung um eine ständige Hilfsaufseherstelle vermehrt werden.
23. Januar 1904
Grießen: Der Oberbau auf der Forst-Gubener Eisenbahn ist schon so weit fertig gestellt, daß vorgestern nachmittag der erste Zug hier ankommen konnte; er brachte Weichen und Baumaterial zum hiesigen Bahnhof. - Die hiesige Gemeinde ist angehalten worden, den Zufuhrweg vom Dorfe bis zum Bahnhofe (ca. 500 Mtr.) vorschriftsmäßig auszubauen und zu pflastern. Bis zum 1. Mai d. J. sollen diese Arbeiten fertiggestellt sein; sie werden der Gemeinde ca. 6000 Mark Kosten verursachen.
24. Januar 1904
Eine wertvolle Schenkung ist unserer Stadt gemacht worden. Der Buchdruckereibesitzer Albert Koenig hat die gesamten Ländereien an der Unterneiße, etwa von dem großen Stein mit der auf die Neißeschiffahrt bezüglichen Inschrift bis zum Bahndamm, soweit sie zwischen der Kanalisationslinie und der Neiße liegen, erworben und sich erboten, durch den Berliner Landschaftsgärtner Brodersen eine Parkanlage daraus herstellen zu lassen und diese der Stadt als Eigentum zu überweisen. Bisher führte hier bekanntlich ein Fußgängersteig, ein recht be-liebter Spazierweg, nach den Schießständen. Das Gelände ist 22 Morgen groß, zum großen Teil mit Bäumen bestanden und bietet große landschaftliche Schönheit, sodaß hier eine Park-anlage entsteht, wie sie kaum eine zweite Stadt in der Provinz aufzuweisen hat. Sie gewinnt noch an Wert durch die nahe Verbindung mit den Schießständen.