Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1916

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10. Januar 1916


16. Januar 1916


19. Januar 1916


20. Januar 1916

Trauerfeier für Dr. Hamdorff im Gymnasium

Es lag nahe, daß an der Stätte seines jahrzehntelangen segensreichen Wirkens in einer besonderen Feier auch des nunmehr verewigten früheren Direktors, Geh. Regierungsrats Dr. Hamdorff, in Ehrerbietung und Dankbarkeit gedacht wurde. Ueber den äußeren Hergang der liebevoll vorbereiteten und würdig durchgeführten Feier in der Aula des Gymnasiums, unter Anteilnahme der Familienmitglieder, der städt. Körperschaften, der Lehrerkollegien des Gymnasiums, der Realschule, der Vorfschule, des Lyzeums, sonstiger Ehrengäste und der Schüler der Doppelanstalt, haben wir bereits gestern berichtet. Heute wollen wir noch die beiden Gedächtnisreden auf den Verewigten nachtragen, die  beide einen tiefen Eindruck auf die Versammelten hinterließen; klang doch aus ihnen nochmals mit voller Deutlichkeit heraus, wieviel wir an dem Dahingeschiedenen verloren haben, als Schulmann, als Bürger und als Mensch.

Die von dem jetzigen Leiter der Doppelanstalt, Herrn Prof. Pohl, gehaltene Gedächtnisrede hatte folgenden Wortlaut:

Hochverehrte Trauerversammlung! Liebe  Schüler!

Im 90. Psalm , jener  tiefempfundenen Bitte, die der Sänger an den Geber aller guten Gabe richtet um gnädige   Förderung des Lebenswerkes, steht ein oft angeführtes Wort, das wie von schmerzlicher Bitterkeit durchtränkt erscheint fürs erste Anhören, wie überhaupt jenes ganze Lied mit seiner Klage über die Menschen, die dahinfahren wie ein Strom, die wie ein Gras sind, das da frühe blühet und bald welk wird, eine tiefe Vergrämung zu atmen scheint über das Menschenleben. Und in diese  Stimmung scheint sich auch das Wort einzugliedern, von dem ich rede: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. Gerade dieses Wort aber zeigt uns auch, daß jener Sänger doch keiner von denen war, die verbittert und finsteren Blickes durchs Leben schritten, wie jene allzu vielen, die immer wieder die Welt verstören mit der törichten Frage: Was hat das ganze Leben für einen Zweck? Wenn es köstlich gewesen ist, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen, sagt er, und in seiner Seele wird auch die Umkehrung dieses Wortes als fröhliche Ueberzeugung gelebt haben: Wenn das Leben Mühe und Arbeit ist, dann ist es köstlich. Sicher war es so; denn der 90.Psalm schließt mit der kurzen herzlichen Bitte um den Segen des Herrn für die Arbeit: Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände, ja, das Werk unserer Hände wolle er fördern. So aber betet kein Mann, der verdrossen an die Arbeit geht; so wendet sich an den Segenspender nur einer, der leuchtenden Blickes in der Mühe und Arbeit des Lebens steht und in frohem Kraftgefühl ausruft: Dieses Leben in Mühe und Arbeit ist köstlich.

Wir haben gestern einen Mann zur letzten Ruhe geleitet, der dies Gefühl kannte, einen Mann, der sich nicht genug tun konnte in Mühe und Arbeit, Arbeit, die er zu seinen reichlichen Amtspflichten immer aufs neue freiwillig auf sich nahm; und wer hat ihn wohl je über Arbeitslast klagen gehört? Ich habe ihn nur im letzten Jahre seines Lebens gekannt, wo er viel klagte: er klagte über die Gebrechlichkeit seines Körpers, darüber, daß er nimmer so konnte, wie er wollte, aber nie ist ein Wort der Klage über seinen Mund gekommen, über die Fülle der Arbeit, die im Leben auf ihm gelastet hatte und die ihn schließlich früher, als man erwartet hatte, erdrückte, vielleicht, weil er sich nicht rechtzeitig von ihr trennen konnte, die ihm stetes Bedürfnis, Behagen, Lebensfreude, die ihm köstlich war. Lassen wir sein Leben kurz an uns vorüberziehen, um das bestätigt zu finden, was ich von ihm sagte.

Karl Hamdorff wurde am 7.März 1842 als Sohn des damals in Guben ansässigen Justizkommissarius Gustav Hamdorff geboren. Schon mit 4 1viereinhalb Jahren erhielt er zu Hause den ersten Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, trat dann 2 Jahre später in die unter Leitung des Lehrers Schulz stehende Selekta ein, die nach dessen Tode der Volksschule einverleibt wurde, und wurde mit 8 Jahren versuchsweise in die Sexta des Gymnasiums aufgenommen, ein Versuch, der von bestem Erfolge begleitet war; denn nach den vorgeschriebenen 9 Jahren bestand er am 4. April 1859 die Reifeprüfung. Er bezog dann die Universität Berlin, um dort hauptsächlich Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren, hörte aber auch philosophische, geschichtliche und philosophische Vorlesungen. Am 21. Februar 1863 promovierte er zum Doktor und kehrte sodann zunächst in seine Vaterstadt  Guben zurück. Hier ließ er sich bestimmen, Ostern desselben Jahres als Vertreter des erkrankten Kantors Haltsch, für den ein Ersatz anderweitig nicht zu beschaffen war, einzutreten und blieb in dieser Stellung auch nach dessen Tode, bestand im Februar 1864 die Staatsprüfung und leistete sodann, ebenfalls am Gymnasium zu Guben, sein Probejahr ab, nach dessen Beendigung er sofort als 5. ordentlicher Lehrer eingestellt wurde. Da sich aber die Hoffnungen auf eine Betätigung in seinen Lieblingsfächern, der Mathematik und der Naturwissenschaften, nicht erfüllten - er unterrichtete in diesen Jahren hauptsächlich lateinisch und Deutsch in den unteren Klassen, - so folgte er einem Rufe an die damals neu gegründete höhere Bürgerschule zu Witten an der Ruhr, wo er vorzugsweise als Lehrer der Naturwissenschaften beschäftigt war. Eine dem Jahresberichte dieser Anstalt von 1871 beigegebene Abhandlung über die Pflanzenwelt der Umgebung von Witten zeigt, wie liebevoll er sich in die Natur der Umgegend seines neuen Wirkungskreises vertieft hatte. - Inzwischen hatten sich die hiesigen Verhältnisse so geändert, dass ihm der Magistrat eine Oberlehrerstelle anbieten konnte, und mit Freuden folgte er dem Rufe in die alte Heimat und an die alte Schule, der er selbst die Grundlagen seines reichen Wissens und seiner vielseitigen Bildung verdankte. Ostern 1871 trat er als Subrektor und 3. Oberlehrer in das Lehrerkollegium ein, wurde zunächst in der Realsekunda und der Realtertia beschäftigt, musste aber bald den mathematischen Unterricht in der Gymnasialprima übernehmen, während er seit Errichtung der Realprima 1874 in dieser seinen Hauptunterricht erteilte. 10 Jahre später, Ostern 1884, wurde er beim Tode des Direktors, Dr. Wagler, zum Leiter der Anstalt berufen, der er 30 Jahre lang zum Segen für ihr Gedeihen vorgestanden hat. Der Wunsch, den der Provinzialschulrat bei der feierlichen Einführung in sein Amt ihm aussprach, es möge ihm, der das Erbe Waglers wie ein Sohn das seines Vaters antrete, wie seinem Vorgänger gelingen, das Verhältnis zum Patronate, zur Aufsichtsbehörde, zum Lehrerkollegium und zu den Schülern auf gegenseitiges Vertrauen gegründet zu erhalten, - dieser Wunsch ist im reichsten Maße in Erfüllung gegangen. Ich erinnere mich noch lebhaft, welchen Eindruck es mir machte, als ich vor nunmehr 23 Jahren als junger Lehrer zum ersten Mal unter meinen damaligen Seminarkollegen einen ehemaligen Schüler des Gubener Gymnasiums  kennen lernte, zu hören, mit wie warmer herzlicher Empfindung dieser von seiner Schule und ihrem Leiter sprach. Es hat ihn auch wie so manchen anderen Schüler dieser Anstalt wieder zurückgetrieben zu der väterlichen Hand, die seine Jugend leitete, und wen ich auch später kennen zu lernen Gelegenheit hatte von denen, die in den Räumen dieser Schule aufgewachsen sind - es war immer derselbe Geist, ein Geist treuer Anhängigkeit und herzlichen Dankes, der den einzelnen an das Ganze knüpfte, und wenn sie vollends von ihrem alten Hamdorff sprachen, dann leuchteten ihre Augen.

Daß dies etwas unendlich Wertvolles ist fürs ganze Leben, wer wollte es bezweifeln? Müssen doch alle diese Schüler den Eindruck bekommen haben, daß sie von dieser Schule etwas mit ins Leben genommen hatten, das noch wertvoller ist als bloßes Wissen, eines lose Anhäufung von Kenntnissen. Dies aber hatte Hamdorff bewußt angestrebt. In seiner Antwort auf die  bei der Uebernahme der Schulleitung an ihn gerichteten Ansprachen findet sich das wundervolle Wort, es sei die Aufgabe der Schule, eine von selbstsüchtigen Interessen unabhängige Begeisterung für die Wahrheit in das Herz der Jugend zu pflanzen und den Gedanken im öffentlichen Leben zur Anerkennung zu bringen, dass nicht auf Staats - und Rechtsformen die Freiheit beruht, sondern eine geistige und sittliche Errungenschaft des Einzelnen sein muß. Eine in solchem Sinne erzogene Jugend werde auch von wahrhaft religiöser und patriotischer Gesinnung erfüllt sein.

Diese Worte atmen den Geist der Besten, die unser geliebtes Vaterland hervorgebracht hat. Dieses Streben nach der selbsterrungen inneren sittlichen Freiheit ist dem Geiste unseres volkstümlichsten Dichters, Friedrich von Schiller, Im tiefsten Kerne wesensverwandt, diese Zurückweisung selbstsüchtiger Interessen, diese Begeisterung für die Wahrheit ist echtes Deutschtum, ist jene unangreifbare und unzerstörbare Urkraft des deutschen Wesens, die uns in der Not der Gegenwart, gewissensrein und aufrecht erhält und uns den Sieg über die verbürgt, denen gerade diese Eigenschaft so offenkundig fehlt. Der Mann aber, der diese Grundsätze für seine Lebensarbeit aufgestellt hatte, der mußte die gewaltigsten Einwirkungen auf die ihm anvertraute Jugend erzielen, und es mußte ihm doppelt gelingen durch das Vorbild von Arbeit und ruheloser Pflichterfüllung, das er ihr in seiner Person täglich und stündlich vor Augen stellte, denn er war kein Mann der tönenden Worte, der nur große Gedanken aussprechen und die Ausführung im Einzelnen anderen überlassen wollte. In rastloser Kleinarbeit, im Unterricht wie in der Verwaltung ist sein ganzes Leben aufgegangen, einer Kleinarbeit aber, der darum der reiche Erfolg nicht fehlte, weil er sich den Augenblick ins Weite nie verbaute und dadurch behütet blieb vor der Gefahr der Einseitigkeit und Kleinlichkeit, die gerade ängstlicher Pflichterfüllung im Einzelnen nicht selten droht. So wurde ihm die Mühe und Arbeit köstlich, so köstlich, daß er sich auch in diesen letzten Monaten seines Lebens nicht davon trennen mochte, als er die Amtsgeschäfte niedergelegt hatte und sein körperlicher Zustand ihm wahrlich Ruhe und Schonung gebot. Vor allen Dingen waren es die geliebte Schule und seine ehemaligen Zöglinge, von deren Schicksal er seine Gedanken nicht losreißen konnte. Ihm fehlte die gewohnte Arbeit, und als wir ihn, um ihm dieses Fehlen weniger fühlbar zu machen, baten, uns bei der Versendung der Aufrufe an die Angehörigen der Kriegsteilnehmer unter den ehemaligen Schülern der Anstalt zu unterstützen, da unterzog er sich dieser Aufgabe mit besonderem Eifer, die ihm noch einmal in Berührung brachte mit den Vielen, die durch seine treuen Hände gegangen waren;  hatte er doch nicht weniger als 3323 Schüler während seiner Amtsführung als Leiter der Anstalt in diese aufgenommen! Vielleicht das Rührendste aber, was ich berichten kann, ist ein Brief, den er wenige Tage vor seinem Tode seiner treuen Pflegerin an mich diktierte. Ich hatte ihm in unserer letzten Unterredung von der drohenden Not neuer Einberufung von Lehrern zum Heeresdienst und von der Schwierigkeit, wie die Vertretungen zu beschaffen seien, gesprochen. Da schrieb er mir, die Gedanken daran wären ihm fortwährend durch den Kopf gegangen, und machte mir ausführliche Vorschläge, wie sich dieser und jener Unterricht besetzen lasse. –

Fürwahr ein Leben in Mühe und Arbeit bis zum letzten Augenblick, aber auch ein köstliches Leben, das auch er selbst, der ewig Heitere, mit der Gabe fröhlichen Humors von Gott Begnadete als solches empfunden hat. Schwere Schicksalsschläge haben auch ihn getroffen, aber in seinem innersten Wesen wurzelte jene Heiterkeit, die aus dem Bewusstsein erwächst, dass Beste zu wollen, und im Streben noch diesen Ziel nie müde zu werden in treuester Pflichterfüllung. So steht sein Bild in den freundlichsten Zügen vor uns, uns allen eine Mahnung, es ihm nach zu tun und auch unser Leben in Mühe und Arbeit so köstlich werden zu lassen, wie seines war.


24. Januar 1916