Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1902

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3. April 1902

Ein Bräutigam von 108 Jahren: John Barlow, ein Pächter in Oak Ridge (Verein. Staaten) wird trotz seiner 108 Jahre in kurzem noch einmal heirathen. Seine Auserkorene ist eine junge Wittwe von 90 Jahren. Sie wird seine fünfte Gattin sein, denn vier Frauen hat John Barlow bereits begraben. Der heirathslustige Alte erfreut sich einer eisernen Gesundheit; er macht jeden Tag lange Spaziergänge durch die Felder und sein Gedächtniß ist so gut, daß er bei Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn stets anzugeben weiß, wo die im Laufe der Jahre verwischten Grenzen der Felder gewesen sind.

Arzneien braucht John Barlow niemals, dafür trinkt er gern einen guten Schnaps, raucht wie eine Dampfmaschine und huldigt in allen Ehren noch anderem Zeitvertreib.


6. April 1902

Das französische Parlament hatte beinahe eine fast direkte Aufforderung zur Scheidung in die französischen Gesetze eingeführt. Die Kammer hatte ihr schon zugestimmt, der erste Senat aber hat sie wieder beseitigt.

Es handelt sich um Artikel 71 des Finanzgesetzes, der zwei Jahre vom Militärdienst auch den Söhnen geschiedener Frauen schenken wollte. Der Senator de Montfort verlangte die Ausmerzung dieser Bestimmung, indem er sie als eine wahre Prämie auf Scheidung hinstellte und einen Brief verlas, worin ihm ein Wähler mittheilte, daß seit seine Frau von diesem Artikel 71 Kenntniß habe, nach Vorwänden zur Scheidung suche, um ihrem achtzehn Jahre alten Sohn den Dienst bei der Fahne zu erleichtern. Mit der Verlesung dieses Briefes, der unter den Herren Senatoren eine ungeheuere Heiterkeit entfesselte, war das Schicksal jener Bestimmung des Artikels 71 besiegelt, sie verschwand im parlamentarischen Papierkorb zum Schaden der Schwankdichter, denen damit eine unabsehbare Reihe komischer Verwicklungen entgangen ist.


8. April 1902

Unsittliches im "Lied der Glocke".

In einer Stadt in Württemberg wird der Frkf. Ztg. geschrieben: Sie haben schon öfters auf die von gewissen Pädagogen vorgenommenen "Verbesserungen" der Geistesprodukte unserer Dichter und Denker hingewiesen, - Verbesserungen, die unternommen wurden, "um die Seelen der Kinder vor Schaden zu bewahren." Lassen Sie sich ein neues Vorkommniß dieser Art mittheilen:

Der Rektor unserer höheren Töchterschule ordnete bei der Schlußfeier der obersten Klasse (Mädchen von 15 und 16 Jahren) an, daß beim Vortrag des herrlichen "Liedes von der Glocke" die Stelle : "Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe" bis "Die schöne Zeit der jungen Liebe" auszulassen ist.

Wenn man nun berücksichtigt, daß sämmtliche Mädchen das ganze Gedicht ohne Verstümmelung auswendig lernen mußten, so wird man den erzieherischen Werth dieser Maßregeln in seiner ganzen Größe zu würdigen wissen

Unser großer Schiller aber würde sich im Grabe umdrehen, wenn er erfahren könnte, daß so etwas nahezu 100 Jahre nach seinem Tode, 2 Wegstunden von seinem Geburtsort entfernt, in einer Stadt geschehen konnte, wo er selbst einige Zeit gewohnt hat.


9. April 1902

In der furchtbaren Katastrophe beim Fußball-Wettkampf zwischen Engländern und Schotten in Glasgow wird berichtet: Ein Theil einer auf eisernen Stützen errichteten Tribüne brach zusammen, und 400 Personen stürzten 40 Fuß tief herab, zum großen Theil auf Pfähle und Zäune.

Die Szene war fürchterlich: Entsetzliches Geschrei erfüllte die Luft, und das Publikum brach in der Panik durch den eisernen Zaun auf den Spielplatz durch. Als die Direktion das soeben begonnene Spiel aufheben wollte, nahm die Menge eine drohende Haltung an, und der Wettkampf mußte ruhig zu Ende geführt werden. Infolge dessen ging das Rettungswerk langsam vor sich; während Todte und Verwundete vorbeigetragen wurden, brüllte die Menge den Spielern Beifall zu! Ärzte und Ambulanzen waren nur in unzureichender Zahl am Platze. 20 Personen sind todt, über 200 theils schwer, theils leicht verletzt.


11. April 1902

Die ersten Schwalben sind gestern hier gesehen worden.

Die Gefahren des Alkohols: Aus Paris wird berichtet: Einen originellen Ausgang hatte ein Experiment, das am Sonntag in einer Versammlung des den Alkoholismus bekämpfenden Vereins "La pospérité" zum Beweis für die furchtbare Schädlichkeit des Genusses geistiger Getränke angestellt wurde. Man hatte zu Anfang der Sitzung mehreren Meerschweinchen je zwei Kubikcentimeter Malaga, reinen Sprit, Absinth u.s.w. und einem anderen Meerschweinchen dieselbe Quantität reinen Wassers aus einem dem Versammlungslokale gegenüberliegenden Springbrunnen eingespritzt.

Wie der Vorsitzende nun zum Schluß der Versammlung triumphierend die Verheerungen des Alkohols in dem Organismus der unter Käseglocken gestellten Thierchen und die Unschädlichkeit des Wassergenusses nachweisen wollte, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu sollen.

Die mit geistigen Getränken versehenen Meerschweinchen befanden sich nämlich im muntersten und frischesten Zustande, während das mit Wasser behandelte regungslos am Boden lag und kaum noch Lebenszeichen von sich gab.

Mann mußte ihm - oh Ironie des Schicksals! - ein Gläschen Cognac gewaltsam einzwingen, um ihm seine Lebenskraft wiederzugeben. Mann kann sich vorstellen, mit welch` schadenfrohem Gelächter die recht zahlreich erschienenen  Widersacher der Wasserpropagandisten diese "Beweisführung" entgegennahmen.


13. April 1902

Lieberose: Zu dem von hier ausgeschriebenen Bürgermeisterposten haben sich 95 Bewerber gemeldet.


20. April 1902

Über Belästigungen durch Hunde wird vielfach Klage geführt. Die Hundebesitzer verweisen wir auf die Polizeiverordnung, wonach Doggen jeder Art und doggenartige Hunde sowie die Fleischerhunde, ferner alle anderen bissigen Hunde, für welche im einzelnen Falle dem Eigenthümer gegenüber eine entsprechende Anordnung seitens der Ortspolizeibehörde getroffen wird, sofern sie außerhalb der Häuser oder der geschlossenen Hofräume sich befinden, mit Maulkörben versehen sein müssen, die das Beißen verhindern geeignet sind.

Es ist verboten, Hunde in öffentliche Wirthschaften - ausgeschlossen sind jedoch die Garten-wirthschaften - mitzunehmen. In Gartenwirthschaften und auf Kirchhöfe mitgebrachte Hunde sind stets an einer nicht über einem Meterlangen Leine zu führen.


25. April 1902

Die Raubzüge der Katzen beginnen wieder. Nicht allein, daß durch die Katzenconcerte die nächtliche Ruhe auf höchst fatale Art gestört wird, diese Raubthiere stellen auch mit aller List unseren Singvögeln nach. Die "geschwänzten Gäste" der Hausdächer richten in den Gärten nichts als Schaden an und darum ist die Entscheidung des Reichsgerichts ganz gerecht, welches jedem Grundtücksbesitzer erlaubt, Katzen auf seinem Grunstücke zu tödten oder zu fangen.

Wer sie liebt, gewöhne sie ans Haus, Keller und Hof; im Garten aber dürfen sie sich nicht blicken lassen - oder der Tod sei ihre Strafe.

Die Kunst, sich auf einen Stuhl zu setzen, lehrt ihre weiblichen Mitschwestern Agnes von Kopenhagen in der Zeitschrift "Fürs Haus" unter der Rubrik "Wie soll ich mich benehmen" mit folgenden sachverständigen Worten:

"Bewegt man sich auf einen Stuhl zu, auf welchem man zu sitzen wünscht, so halte man vor demselben, in geringer Entfernung davon still; dies ist nothwendig, um genügenden Platz für das erforderliche Wenden des Körpers zu gewinnen.

Nun setze man einen Fuß vor den anderen, erhebe sich auf die Spitzen, drehe die Fußgelenke und schwinge den Körper herum, indem man gleichzeitig mit dem vom Stuhl am weitesten entfernten Fuße einen kleinen Sprung macht. Dadurch wird das Gewicht von diesem Fuße nach dem, welcher dem Stuhl zunächst steht, verlegt, und während der Körper sich dreht, müssen die Hüften sich sehr tief neigen, die Knie ebenfalls, und mit diesen Bewegungen ist man auf den Stuhl gelangt.

Man setze sich soweit auf dem Stuhl zurück, daß die Hüften den Stuhlrücken berühren und strecke die eine Fußspitze soweit aus, daß sie unter dem Saume des Kleides sichtbar wird. Die schräge Linie vom Kopf bis zur vorgestreckten Fußspitze ist die Hypothenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, dessen Basis eine Linie von dieser Fußspitze bis zu den Hinterbeinen des Stuhles bildet."

Vielleicht weiß Tante Agnes noch viel wichtigere Aufschlüsse über die Kunst des Sitzenbleibens zu liefern.


30. April 1902

Eine Maikäferinvasion von ungeheurem Umfang wird aus Speyr gemeldet. Braune Heerscharen sind über die junggrünen Bäume und Sträucher hergefallen, zahlreicher als die Armeen sämmtlicher Großmächte. Viele Bäume sind schon kahl gefressen.  Die liebe Jugend hat an den "Braunröcken" ihre Freude, nicht aber der Landmann und Gutsbesitzer. Die Gemeinden treffen alle Vorkehrungen, die Schädlinge zu dezimiren. Um den Maikäferfang möglichst zu fördern, werden aus der Stadtkasse 5 Pf. Für den Liter Maikäfer bei der Ablieferung bezahlt.