Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1902

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3. Dezember 1902

Groß-Gastrose: Am Sonnabend in der 6. Abendstunde wurde das Automobil des Herrn Fabrikbesitzers E. Lehmann von einem kleinen Unfall betroffen. Der Führer desselben fuhr nach Strega. Auf dem Wege dorthin traf er mit Gubener Handelsleuten, die vom Forster Wochenmarkte kamen, zusammen. In dem dichten Nebel kam ihnen plötzlich ein Gefährt ohne Laterne entgegen. Um nicht größeres Unglück anzurichten, da ein Ausweichen nicht mehr möglich war, lenkte er das Automobil in den Graben, wodurch die Steuerung etwas verbogen wurde.

Es kann nicht oft genug ermahnt werden, bei einbrechender Dunkelheit die Wagenlaternen anzuzünden. Leider wird gerade an den Forster Wochenmarktstagen so oft die Beobachtung gemacht, daß meist einige von den Handelsleuten "vergessen" haben, die Laterne anzubrennen. Ebenso wurde schon länger Klage geführt, über einige Bierkutscher, die des Abends oder in der Nacht von ihrer Kundschaft nach Hause fahren.  Oft ohne Laterne, mitunter der Kutscher schlafend, so kommen die Gefährte an. Nur die größte Aufmerksamkeit der Entgegenkommenden hat bisher ein Unglück verhindert.


4. Dezember 1902

Zehn Jahre im Bett: Ein Original ist der Baron Huger Ortlied in Rußland, ein Millionär, der wie ein Londoner Blatt zu erzählen weiß, seine Zeit in seinen prächtigen Palästen in St. Petersburg und Moskau und seinem herrlichen Landgut bei Kasan zubringt - aber immer im Bett. Seit zehn Jahren ist er nicht aufgestanden und hat sich nicht angekleidet. Körperlich fehlt ihm nichts, und trotz seiner Größe liefert sein Körperzustand ein Beispiel dafür, daß es nicht immer richtig ist, daß viel körperliche Bewegung zur Erhaltung der Gesundheit nöthig wäre. Nachdem der Baron alle denkbaren Formen des Vergnügens erschöpft hatte, legte er sich aus bloßer Langeweile ins Bett und ist seit dem Jahre 1892 nicht wieder daraus aufgestanden. Sogar bei seinen Reisen verläßt er das Bett nicht. Dieses wird dann von seinen Zimmern auf einen besonders gebauten Wagen getragen, von dort in seinen Privatsalonwagen, und dann fährt er immer im Sonderzug.  In allen anderen Beziehungen ist er ganz vernünftig, er leitet sein großes Besitzthum mit der größten Klugheit und mit Scharfsinn, und ist immer glänzend und witzig in der Unterhaltung. Die einzige Besonderheit seines sonst achtbaren Charakters ist sein Widerwillen gegen die Anstrengungen des Aufstehens. "Warum sollte ich mir die Mühe geben?" fragt er. "Wozu muß ich aufstehen? Es giebt sicherlich nichts, was ich nicht ebenso gut im Bett machen könnte."


6. Dezember 1902

In letzter Zeit ist es verschiedendlich vorgekommen, daß namentlich in unbewohnten Fabrikgebäuden und auf Neubauten durch Straßentunnels Fensterscheiben eingeworfen worden sind. Besonders ist dies in der Straupitzerstraße der Fall gewesen. Wir machen darauf aufmerksam, daß nicht nur Geldstrafen, sondern unter Umständen auch Gefängnißstrafen dafür verhängt werden können. Eine tüchtige Tracht Prügel beim Ertappen auf frischer That  wäre allerdings für derartige Rohheiten am meisten angebracht. Im Uebrigen sind wir auch gern bereit, falls uns Angaben über die Personen gemacht werden, deren Namen hier zu veröffentlichen.


7. Dezember 1902

Das Thermometer sank in der letzten Nacht bis auf -18 bis -19 Grad C. unter Null und stieg auch heute Mittag nicht höher als -12,5 Grad C.


10. Dezember 1902

Eisferien gibt es jetzt in den städtischen höheren Schulen Berlins, d.h. die Schulen werden eine Stunde früher geschlossen und die Kinder beauftragt, die freie Zeit beim Eislaufen zuzubringen. Es sind verschiedenen Bahnen zu diesem Zwecke gepachtet, auf denen die Kinder unter Aufsicht der Lehrer den Schlittschuhlauf üben.


13. Dezember 1902

In den Apotheken unserer Gegend fragt man jetzt wohl fast überall vergeblich nach einem Gegenstand, der früher keiner von ihnen fehlte, nach dem sogenannten Schreckstein. Es war ein etwa ein Fingerglied langes, oben und unten spitz, an den Seiten kantig geschliffenes Stück Serpentinstein von grünlich-grauer Farbe, das im oberen Theile durchbohrt war, um von einer Schnur getragen zu werden. Bestimmt, den schädlichen Wirkungen plötzlichen Erschreckens entweder vorzubeugen oder nachträglich abzuhelfen, wurde es ebenso gut beim Vieh, wie bei Kindern angewendet, und wurde namentlich im ehemals wendischen Theile der Niederlausitz viel von der Landbevölkerung gekauft. Dort erworbene Stücke sind auch in Berliner Museen gelangt. Länger hat sich der Brauch von Waschungen mit einem Aufguß aus Panickel, im Volksmunde Pusch- oder Verwaschkraut erhalten, die gleichfalls gegen nachtheiligen Einfluß des Schrecks bei Mensch und Vieh gebräuchlich waren. Derartige Pflanzenbüschel wurden auf den Wochenmärkten feil gehalten.


19. Dezember 1902

Pförten: Montag und Dienstag fand auf den Gemarkungen Jeser, Datten, Kohlo und Cummeltitz eine große Hasenjagd statt.

Das Resultat des ersten Tages waren 368 Hasen, 1 Fuchs und einige Fasanen (von 7 Schützen), das Ergebniß am Dienstag war 419 Hasen von 8 Schützen.

Eine saubere Hausfrau. Aus Kattowitz wird berichtet: In einem Hause der Querstraße wohnte seit länger als zwei Jahren ein Beamter, von dessen Frau man sich schon immer erzählte, daß sie einen guten Tropfen liebe und sehr nachlässig sei. Doch das ging ja die Öffentlichkeit nichts weiter an. Da wurde aber eines Tages die Polizei darauf aufmerksam gemacht, daß eine Revision der Wohnung erforderlich sein dürfte, da aus derselben ein eigenartiger Geruch herausdringe. Beim Besuch der Polizeibeamten flüchtete die allein anwesende Beamtenfrau nach dem Boden. Dem Polizeisergeanten bot sich ein einzigartiger Anblick dar. Berghoch lag im Wohnzimmer die Brennasche aufgebahrt. Der Gestank in der Wohnung war höchst unerträglich. Die Asche war dazu auch als Ablagerungsplatz der menschlichen Exkremente benützt worden. Außerdem lagen dortselbst in Verwesung übergegangene Hasen, Gänse u.s.w. Vor längerer Zeit hatte die Frau ihre goldene Uhr vermißt und alles Suchen danach erwies sich als erfolglos, weshalb sie verschiedene Personen des Diebstahls beschuldigte. Auch diese Uhr nebst Kette wurde auf dem Ablagerungsplatze vorgefunden. Die Polizei ließ zwei volle Arbeitswagen des Düngers in des wahrsten Wortes Bedeutung aus der Wohnung herausschaffen. Die Dielung war bereits völlig durchgefault. Merkwürdig bleibt, daß der Ehemann diesem unsauberen Treiben seiner Frau so lange ruhig zusehen konnte.


25. Dezember 1902

Sagan: Eine Episode, die sich auf dem herzoglichen Bau im Dorotheenhofe zugetragen, wird hier viel belacht. Im Oktober wurde mit dem Bau einer Beamtenwohnung begonnen, und man hätte das Haus vor Eintritt des Winters gern noch unter Dach gebracht. Da trat die Kälte ein , und um nicht frieren zu müssen,  wurde von der Verwaltung ein Faß Kalcium bestellt, das durch Zusetzen zum Kalk das Gefrieren des Letzteren verhindern sollte. Als daher vom Spediteur ein Faß auf dem Dorotheenhofe abgeladen wurde, machten sich die Männer sofort daran, den Boden desselben auszuschlagen und einen Eimer der Flüssigkeit dem Kalk zuzusetzen. Als dies nicht half, goß man einen zweiten Eimer hinzu. Der Geruch und die rothe Farbe war wohl den Maurern aufgefallen; da sie aber Kalcium nicht kannten, kümmerten sie sich auch nicht weiter, bis der herzogliche Beamte kam, der sich ein Faß Wein bestellt hatte. 45 Liter des französischen Rothweines lagen in der Kalkgrube.

Gerichtliches: Toller Hokuspokus. Einen Zaubertrank hat die Wittwe Friederike Graf  zu Spandau zusammengebraut. sie nannte das Gemisch, welches nach dem Gutachten des Sachverständigen aus einem schwachen Kantharidenauszug, Leinöl und Menthol besteht, Männeranziehungs- und Erfrischungstrank. Ihre Kunden bestanden größtentheils aus verheiratheteten Frauen, denen sie das "unfehlbare Mittel" für theures Geld aufhängte.

Die Behörde erblickte in dem Verfahren der Frau Graf die Thatbestandsmerkmale des Betruges und ebenso das Schöffengericht, welches Frau Graf zu einer Gefängnißstrafe von drei Monaten verurtheilte. Die Angeklagte legte Berufung ein, wor-auf die Sache vor der Strafkammer  des Berliner Landgerichts II zur Verhandlung gelangte.

Es war ein Entlastungsbeweis eigenthümlicher Art, der ins Werk gesetzt wurde. Es trat eine ganze Anzahl Frauen, lauter Kundinnen der Angeklagten, auf. Eine nach der Anderen versicherte, daß sie sich nicht betrogen fühle, denn die angepriesene Wirkung sei nicht ausgeblieben. Unter diesen Umständen mußte der Gerichtshof anerkennen, daß eine Verurtheilung wegen Betruges nicht erfolgen könne, weil eine Vermögensschädigung nicht nach-zuweisen sei. Der Vorsitzende gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß ein so toller Hokuspokus noch in der Nähe von Berlin floriren könne.