Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1902

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16. August 1902

Solche Hundstage wie in diesem Jahre sind seit undenklichen Zeiten nicht dagewesen. Man kommt wirklich in Versuchung, den Ofen zu heizen. Verspricht am Abend die sinkende Sonne einen schönen Tag und steigt sie dann am frühen Morgen in goldiger Schönheit am blauen Himmelsdom empor, so schöpft alles wieder neue Hoffnung auf einen schönen Tag, bald aber zieht trübes Grau herauf, die Sonne verhüllend, und unaufhörlich rieselt der Regen herab, oder aber am Himmel ballt sich Gewittergewölk zusammen und Blitz und Hagel vernichten, was die spärliche Sonne mit Mühe zur Reife gebracht hat. Wo sind die lauen Sommerabende, an denen es sich so schön im Freien beim kühlen Tranke sitzen ließ?

Höchstens 10 bis 12 Grad beträgt die Temperatur am Tage und auf 7 bis 8 Grad fällt sie an den Abenden herab; bei solch empfindlicher Kühle zieht es natürlich ein Jeder vor, sich in das wärmere Zimmer zurückzuziehen, um dort womöglich bei einem Glase Grog  von der Hundstagshitze zu träumen.

Am meisten empfinden unsere Landleute das abnorme Wetter, die oft genöthigt sind, das Getreide noch feucht einzufahren. Wenn Jeder bei diesem Wetter fast verzagen möchte, Einer ist´s  der unentwegt und muthig den Kopf oben behält, und dieser Eine ist Professor Rudolf Falb.

Mit der zuversichtlichsten Miene beglückt er in seiner bekannten Liebenswürdigkeit die Welt mit folgender Prognose: "Bis zum 24. August wird es sehr trocken!"

Die Trockenheitsperiode sollte nun schon am 11. August beginnen, aber dieser Umstand entmuthigte Herrn Falb durchaus nicht. Die empfindliche Kühle, die Windstöße und Regenschauer sind für ihn nur Vorläufer für zahlreiche Gewitter, die er für den 19. August, einen kritischen Termin zweiter Ordnung, prophezeite und die nur "stellenweise von stärkeren Niederschlägen begleitet sind."

Nach der Krisis am 19. August soll´s aber ganz bestimmt hundstagsmäßig warm werden. Falb sagt: "Die Temperatur steigert sich zu dieser Zeit auf eine ungewöhnliche Höhe, während sie an den übrigen Tagen normal ist. Vom 25.bis 31. August wird es jedoch wieder regnerisch, aber nur in den letzten Tagen ist eine größere Ausbreitung der Niederschläge zu erwarten.. Anfangs sind bei sehr hoher Temperatur die Gewitter zahlreich, später treten sie zurück, und die Temperatur beginnt zu sinken."

Die Prognose Falbs für die bisherige Periode des August hat sich wieder einmal als irrig erwiesen, denn seine Vorhersage: "Die erste Woche verläuft ziemlich trocken, und die Temperatur ist der Jahreszeit entsprechend", steht mit den thatsächlichen Verhältnissen in denkbar schroffstem Widerspruch.


17. August 1902

Schneefall: Im sächsischen Erzgebirge und im östlichen Vogtland ist, wie die "Dresdener Nachrichten" melden, der erste Schnee gefallen. In Ostsachsen ist das Thermometer auf ½ Grad Wärme gesunken.


19. August 1902

Forst: Es wird immer besser, schreibt das "Forst. Tagebl.". Sonnabend Morgen hat es nach einer fast eisigkalten Nacht bei uns geschneit, thatsächlich geschneit. Fein und zart wirbelten die Flocken hernieder, aber sie mögen so fein gewesen sein, wie es überhaupt nur möglich ist, an der Thatsache, daß es in Forst mitten im August 1902 geschneit hat, ist nicht zu rütteln. Auch der Umstand, daß die Flöckchen alsbald auf dem Straßenpflaster in ein Nichts zerstoben waren, macht das monströse Witterungsereignis nicht ungeschehen.


23. August 1902

Zum 100. Todestag von Corona Schröter

Vor 100 Jahren, am 28. August 1802, schlossen sich in Ilmenau die Augen Corona Schroeters, jene einst so leuchtenden, großen Augen, welche wenig mehr als 50 Jahre zuvor, am 14. Januar 1751, in Guben das Licht erblickt und eine Welt von Schönheit in sich aufgenommen und erweckt hatten.

Aus engsten, dürftigen Verhältnissen war die große Künstlerin hervorgegangen. Ihr Vater Johann Friedrich Schroeter, "Königlich Polnischer und Churfürstlich Sächsischer, bei dem löblichen Graf Brühlschen Regiment bestallter Hautboist, wie die Eintragung im Kirchenbuch lautet, und ihre Mutter Maria Regine Hester zogen noch während Coronas Kinderzeit nach Warschau, wo jedenfalls der Grund zu Coronas vorzüglicher allgemeiner und besonders musikalischer Ausbildung gelegt worden ist.

Ihr hervorragendes musikalisches Talent wurde jedoch erst in Leipzig, und zwar durch keinen Geringeren, als Johann Adam Hiller, den Schöpfer des deutschen Singspiels, welcher mit der Schroeterschen Familie befreundet war, entwickelt. Unter seiner Leitung errang Corona Schroeter schon im Alter von 14 Jahren in den "Großen Konzerten" in Leipzig glänzende Triumphe. In wenigen Jahren wurde sie die gefeierteste Sängerin Leipzigs und wegen ihrer Anmut und Schönheit ebensowohl, wie wegen der Vielseitigkeit ihrer Kenntnisse allseitig verehrt. Hier lernte auch der junge Student der Rechte Wolfgang Goethe, dessen Dichtergenius soeben seine Schwingen zu regen begann, die gefeierte Künstlerin kennen. Diese Bekanntschaft sollte für Beider Leben höchst bedeutungsvoll werden. Ueber Straßburg, Metzlar, Frankfurt nach Weimar führte das Schicksal den jungen genialen Vorkämpfer der Sturm- u. Drangperiode.

In Weimar schuf Goethe, der nunmehr schon berühmte Dichter des Werther, Götz,  Clavigo , Hand in Hand mit seinem fürstlichen Freunde, dem geistreichen Herzoge Carl August von Sachsen-Weimar und dessen Mutter, der Herzogin Amalie, jenen unvergleichlichen Musenhof, dessen führende Geister neben ihm selber Dichter vom Range eines Wieland, Herder, Schiller waren und zu dem die erlesensten  und geistig bedeutendsten Männer der Nation sich zusammenschaarten.

Welche unermeßliche Bedeutung die geistige Arbeit dieser Männer, vor Allem die Goethes, für Deutschland und für die Welt gehabt hat, ist allbekannt. Deutschland, dessen Gebildete bis dahin des Gebrauchs ihrer Muttersprache sich fast schämten, Deutschland, dessen größter Monarch, Friedrich der Einzige, französisch sprach und schrieb, dieses Deutschland erhob sich durch jene goldenen Tage von Weimar mit einem Schlage zum Lande der Dichter und Denker; die Schönheit und Formvollendung seiner Sprache und Dichtung, die Tiefe und Größe seiner Gedankenwelt überflügelte Al-les, was andere Nationen hierin darbieten konnten. Das kleine unscheinbare Weimar war der literarische Vorort der Welt geworden. Eine der edelsten und leuchtendsten Zierden dieses unvergleichlichen Weimarer Musenhofes zu sein, war Corona Schroeter berufen.

Goethe selbst reiste im Einvernehmen mit dem Herzoge, mit Wieland und Knebel nach Leipzig und es gelang ihm, die im höchsten Ansehen stehende große Künstlerin als "Hof- und Kammersängerin der Herzogin Amalie" mit lebenslänglichem Gehalt für Weimarer zu gewinnen. Am 16. November 1776, etwa ein Jahr später, als Goethe selbst, zog die nunmehr 25jährige Corona in Weimar ein. Bald darauf sang sie zum ersten Male vor dem Hofe. Die Zeitgenossen schildern sie als "von hohem junonischem Wuchse und edlem Ebenmaß, mit einem fast  südländischen, etwas dunkelm aber außerordentlich frischen Teint, seelenvollen, leuchtenden braunen Augen und dunkelbraunem Haar, mit eigenthümlichem Adel der Haltung, mit Grazie in jeder Bewegung, eine reizende, ideale Erscheinung".

Kein Wunder, daß sie alle Welt entzückte, nicht zum Wenigsten Carl August und Goethe. Ihre vollendete Kunst als Sängerin und Schauspielerin, der Reichthum ihres Geistes und der Adel ihres Charakters hoben ihre äußeren Vorzüge nur um so mehr hervor. Sie beherrschte außer ihrer Muttersprache die französische, englische, italienische und polnische Sprache, sie galt als hervorragende Malerin, Zeichnerin und war Meisterin auf dem Piano und der damals allbeliebten Guitarre.

Ein Heft von ihr komponirter, meist Goethescher und Herderscher Lieder erschien 1786 im Druck, ebenso schrieb sie die ganze Musik zu Goethes Singspiel "Die Fischerin", in welchem sie den "Erlkönig" in ihrer eigene Komposition bei der Uraufführung im Tieforter Park zum ersten Male selbst sang.

Goethe, das Haupt des fürstlichen Liebhabertheaters, den höchsten Zielen der Kunst und des Wissens zustrebend, blieb fast naturgemäß mit einer Künstlerin von so hervorragender Bedeutung in unausgesetzter

Verbindung; bildete sie doch bei allen künstlerischen Darbietungen fast selbstverständlich den Mittelpunkt des Interesses.

Angeregt durch Besprechungen und lebhaften vertrauten Verkehr mit dem großen Dichter, wirkte sie selbst wieder in höchstem Maße anregend auf ihn zurück. So konnte es nicht ausbleiben,  daß sie das Urbild zahlreicher Frauengestalten wurde, welche feine dichterische Phantasie geschaffen hat. Dies gilt u. U. auch von einer seiner tiefsinnigsten und schönsten Dichtungen, der Proserpina.

Am Bedeutendsten  aber ist ihr Vorbild für Iphigenie gewesen, die schönste und edelste Blüthe feiner Dichtkunst, ja vielleicht der Dichtkunst überhaupt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser edelsten Frauengestalt, dieser Hohenpriesterin des Schönen, Edlen und Wahren Corona Schroeter Gestalt, Wesen und Farbe verliehen hat.

"Alle menschlichen Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit"

Dies bezeichnet Goethe selbst als den tiefsten Gehalt der unvergleichlichen Dichtung.

Daß der Dichter als die Priesterin, welche reines Feuer vom Altar brachte, Corona Schroeter im Sinne hatte, wird ihr zum ewigen Ruhme gereichen. Sie selbst war es denn auch, welche zuerst und vollendet die Iphigenie darstellte.

"Sie ist's und stellt es vor" sagt Goethe selbst von ihr, als der Priesterin der Diana. Goethe selbst spielte neben ihr den Orest, Prinz Contantin, später der Herzog Carl August den Pylades.

Corona mag es empfunden haben, daß es der Höhepunkt ihrer unvergleichlichen Künstlerlaufbahn sein müsse, als sie am Schlusse jener Iphigenie-Aufführung Hand in Hand mit dem größten Dichter und seinem genialen fürstlichen Freunde den begeisterten Beifall und die Huldigungen des, aus den edelsten, bedeutendsten Geistern der Nation bestehenden Publikums entgegennehmen durfte; in diesem Augenblick durfte sie des Glaubens leben, daß sie der Geschichte der deutschen Dichtkunst für alle Zeiten angehörte.

"Orest und Iphigenie, Goethe und Corona Schroeter" sagt Adolf Stahr, "es war das ideale schönste Menschenpaar , das jemals zusammen auf den Brettern in einer so ganz dem Ideale angehörenden dichterischen Schöpfung zur Verkörperung dieser Gestalten gewirkt hat.

Wenn es jemals ein von der Natur für einander geschaffenes Menschenpaar gegeben hat, so waren es Goethe und Corona Schroeter."

Wenige Jahre später hörte das fürstliche Liebhabertheater, der Schauplatz dieser einzigartigen Vorgänge, auf zu bestehen. Coronas große Zeit war vorüber.

Zwar entzückte sie noch immer, namentlich in den großen Haendelschen Oratorien durch ihre Sangeskunst und gelegentlich durch die Kunst ihres Vortrages ihre Umgebung.

Im freundschaftlichen Verkehr mit dem aus Italien heimgekehrten Goethe, mit Wieland, Herder, Schiller und ihren Familien, hochgeschätzt und allseitig verehrt, verlebte sie die Jahre bis zur Wende des Jahrhunderts.

Aber der Schwung und Glanz jener unvergleichlichen Tage war für immer dahin.

Sie freute sich nunmehr, jüngere Talente dem Dienste der Kunst zuzuführen.

Als Goethe die Leitung des inzwischen ins Leben gerufenen Hoftheaters übernahm und im Verein mit Schiller daraus eine Musterbühne für ganz Deutschland machte, hatte sie noch die Freude, daß ihre genialste Schülerin Christiane Neumann, von Goethe als Euphrosyne gefeiert, glänzende Triumphe erzielte, welche einen Abglanz der einstigen Kunstepoche Coronas darstellten.

Bald darauf zeigte sich bei ihr ein schweres Leiden, von dem sie in dem stilleren Ilmenau Heilung zu suchen ging. Ein sanfter Tod setzte jedoch bald ihrem großen Leben ein Ende.

Carl Augusts Tochter, Prinzessin Caroline und Goethes Freund Knebel erwiesen ihr, auch über das Grab hinaus, Liebe und Treue.

Um Corona Schroeters Bedeutung zu ermessen, muß man sich der Größe ihres Freundes Goethe bewußt sein, welche ungeachtet aller gewaltigen politischen Umwälzungen und veränderten geistigen Strömungen der Folgezeit immer riesenhafter gewachsen ist und weiter wächst. Auch von Corona gilt das Wort

"Wer den Besten seiner Zeit genug gethan, Der hat gelebt für alle Zeiten"

Ihr war es beschieden und gegeben, dem Größten und Besten aller Zeiten, dessen Namen mit denen Homers, Dantes, Shakespeares in alle künftigen Zeiten hinüberleuchten wird, künstlerisch anzuregen und seine Seele mit reinster Freude und Bewunderung zu füllen. Alle Zeit wird sie deshalb zu den Unsterblichen aus Weimars goldenen Tagen gezählt werden.

"Einen unverwelklichen Kranz", wie Carl August zutreffend schreibt, hat Goethe ihr gereicht, den Begeisterung, Dankbarkeit und Liebe ihr geflochten haben. Es sind die herrlichen Verse aus dem wundervollen Gedicht auf Miedings Tod:

"Ihr Freunde Platz! Weicht einen kleinen Schritt!

Seht wer da kommt und festlich näher tritt!

Sie ist es selbst, die Gute fehlt uns nie,

Wir sind erhört, die Musen senden sie.

Ihr kennt sie wohl, sie ist´s, die stets gefällt;

Als eine Blume zeigt sie sich der Welt.

Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,

Vollendet nun; sie ist´s und stellt es vor.

Es gönnten ihr die Musen jede Gunst,

Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.

So häuft sie willig jeden Reiz um sich,

Und selbst dein Name ziert, Corona, Dich.

Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn!

Nur absichtslos, doch wie mit Absicht schön.

Und hocherstaunt seht Ihr in ihr vereint

Ein Ideal, daß Künstlern nur erscheint."

B. Hoemann