Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1902

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5. Februar 1902

In schwerer Sorge verbrachte eine Anzahl Familien in Freiburg (Schlesien) den diesjährigen Geburtstag des Kaisers.

Etwa 30 Knaben im Alter zwischen 10 und 13 Jahren waren seit der gegen 9.00 Uhr beendigten Schulfeier spurlos verschwunden. Alles Forschen war vergeblich, es wurde Mittag, es wurde Nachmittag, die Unruhe der Eltern und weiterer Kreise der Bevölkerung war auf´s Höchste gestiegen, bis endlich gegen 5 Uhr sämmtliche Jungen wolfshungrig und vor Frost sich schüttelnd, aber sonst wohlbehalten, wieder eintrafen.

Als sie gefragt wurden, wo sie gewesen seien, erklärten sie, daß sie gerne einmal eine Parade hätten sehen wollen und daher auf den Vorschlag eines Mitschülers, gleich nach der Schulfeier nach Schweidnitz marschiert seien, wo sie auch früh genug eingetroffen waren, um sowohl der Parade als auch dem Salutschießen beizuwohnen.

Der weite Marsch - Schweidnitz ist von Freiburg genau 12 Kilometer entfernt - hatte sie hungrig gemacht; als sie die militärischen Herrlichkeiten genug bewundert hatten, machten sie sich darum schleunigst auf den Heimweg. Die kleinen Paradebummler hatten also 24 Kilometer, davon die letzten 12 mit heftig knurrenden Magen absolvirt, eine Leistung, die gewiß sehr respektabel ist.


7. Februar 1902

Noch zu wenig Orden giebt es in Deutschland! In der "Köln. Ztg." fühlt jemand, dessen linke Brustseite wahrscheinlich noch völlig dekorationslos ist, das Bedürfnis, die Stiftung eines Kolonialkreuzes oder einer Kolonialmedaille wenigstens anzuregen, die nicht nur Offizieren, Unteroffizieren, Mannschaften und Beamten, sondern auch Kaufleuten, Landwirthen und Forschern, die sich um die Entwicklung unserer Kolonien verdient gemacht haben, verliehen werden soll. Haben wir denn wirklich noch nicht Orden genug und ist die jährliche Fluth derartiger Auszeichnungen noch immer nicht groß genug?

Ein Blatt vom Schlage der "Köln. Ztg." sollte derartigen Wünschen doch kaum Raum geben.


11. Februar 1902

Mit der endgültigen Einbürgerung der Rothhäute, die Präsident Roosvelt in seiner Botschaft befürwortete, nimmt die nordamerikanische Regierung es ernst. Der Minister des Innern hat eine Rundverfügung an die Indianeragenturen abgesandt, wonach die Agenten, als die Vertreter der Bundesregierung, darauf dringen sollen, daß die Indianer sich die Haare schneiden, sich künftighin nicht mehr das Gesicht färben, dagegen bürgerliche Kleidung annehmen und im Allgemeinen mehr zu gesitteten Bräuchen übergehen. Sollten sich die jungen Indianer aufsässig  zeigen, so soll ihnen eine kurze Zeit Arrest mit Zwangsarbeit zudiktirt werden. Solchen Indianern, die vertragsmäßig einen Zuschuß in Geld oder Naturalien von der Regierung erhalten, soll dieser versagt werden, wenn sie sich widerspenstig benehmen. Auch Indianertänze und Indianerfeste sollen ihr Ende finden. Das wird sicher böses Blut machen.


12. Februar 1902

Bebel in der Hofloge. Aller Augen richteten sich während der Sonnabendsitzung des Reichstages auf die Hofloge, als der Führer der Sozialdemokraten, August Bebel, in der Hofloge erschien, und zwar in Begleitung zweier Damen, denen er augenscheinlich als Führer diente. Er verweilte kurze Zeit stehend in der Loge und gab seiner Begleitung Erläuterungen.

Ein seltsamer Rechtsstreit schwebt zwischen dem Wirth B. zu Langerfeld (Westfalen) und der Schulbehörde. B. hat eine 14jährige Tochter, welche die Schule 71/2 Jahre besucht hat und den Bestimmungen gemäß erst zu Ostern entlassen werden soll. Das Mädchen ist außerordentlich stark entwickelt. Da die Schulbänke für sie zu eng und klein waren, und eine Verkrümmung des Rückrats beim Sitzen in den Bänken zu befürchten war, hielt der Vater sein Kind unter Beibringung eines ärztlichen Zeugnisses zu Hause. Die Schulverwaltung ließ jedoch für das Mädchen einen Stuhl und einen Tisch beschaffen und forderte den Vater auf, seinem Kinde die gesetzliche Schulzeit von 8 Jahren zukommen zu lassen. Der Vater hat nun den Klageweg beschritten.


13. Februar 1902

Ein fideles Rathhaus.  Ein Gegenstück zu dem "fidelen Gefängniß" in der Operette "Die Fledermaus" scheint das Rathhaus in Kornwestheim zu sein. Eine Verhandlung gegen den Schultheiß (Bürgermeister) dieses ungefähr 2.700 Einw. zählenden Ortes enthüllte vor dem Disziplinarhof in Stuttgart allerlei recht sonderbare Vorgänge. Schultheiß Bölmle, der verheirathet und Vater von 8 Kindern ist, stand unter der Anklage, durch Trunkenheit, Vernachlässigung seiner Dienstpflichten, Schuldenmachen etc. sich seines Amtes unwürdig gemacht und Achtung und Vertrauen der Kornwestheimer  verloren zu haben. Unter den vielen Zeugen, die in der Sache vernommen wurden, befanden sich auch mehrere Gemeinderäthe, die sich über den gewaltigen Durst des Angeklagten übel ausließen. Ihren Behauptungen gegenüber erklärte Schultheiß Bölmle aufs bestimmteste, er habe das Trinken erst von den Gemeinderäthen gelernt; in den Sitzungen auf dem Rathhaus seien zuweilen Gemeinderäthe in so betrunkenem Zustande gekommen, daß eine Verhandlung mit ihnen unmöglich gewesen sei; er selbst sei dagegen in den Sitzungen nie betrunken gewesen. Nach den Sitzungen habe man gewöhnlich nach alter Sitte gemeinsam einen Trunk im Wirthshaus gethan, und da habe er tapfer mitgehalten, doch habe er nie so viel vertragen können wie dieser und jener trinkfeste Gemeinderath. Hervorzuheben ist aus der Gerichtsverhandlung auch der Vorwurf, der Herr Schultheiß habe den Polizeidiener öfter angeborgt. Polizeidiener Scherlinsky bestätigte in seiner Zeugenaussage diese Anklagepunkte und theilte weiter mit, er habe dem Ortsvorsteher des Morgens je eine halbe Flasche Schaumwein und Rothwein ins Amtszimmer tragen müssen; mitunter habe der Herr Ortsvorsteher ihm, sowie dem zweiten Polizeidiener, dem Amtsgehilfen und dem Lehrling zum Weine eingeladen. "Das geschah nur aus besonderer Anerkennung, bei besonderen Anlässen!" äußerte sich der Schultheiß zu dieser Behauptung. - Das Urtheil des Disziplinargerichtshofes lautet auf Dienstentlassung und Tragung aller Kosten.


16. Februar 1902

Die Fabrikation falscher Waden: Eine neue englische Industrie macht jetzt in London glänzende Geschäfte.  Es ist dies die Fabrikation von falschen Waden, welcher Artikel aus Anlaß der in Aussicht stehenden Krönungsfeierlichkeiten sich einer großen Nachfrage zu erfreuen hat. Das englische Hofkostüm schreibt nämlich Kniehosen und seidene Strümpfe vor, die nur auf einem schön geformten Bein hübsch wirken, und da die Engländer sich selten  großer Korpulenz erfreuen, müssen sie ihre Zuflucht zu der Kunstfertigkeit des Fabrikanten künstlicher Waden nehmen. In England ist dieser Industriezweig besonders entwickelt, da auch Bergsteiger, Radfahrer, Automobilisten, überhaupt Vertreter jeden Sports, dem man dort bekanntlich sehr huldigt, öfters der Natur nachhelfen durch falsche Waden.


20. Februar 1902

Der Elefant und der elektrische Strom: In Buffalo sollte vor einiger Zeit ein Elefant, der sich als störrisch und gefährlich erwiesen hatte, getödtet werden. Zu diesem Zwecke wählte man den elektrischen Strom, allein selbst ein solcher von 2000 Volt Spannung vermochte dem Thier nichts anzuhaben. Das Experiment wurde nun kürzlich wiederholt unter Anwendung zweier elektrischer Ströme von 4000 Volt. Man hatte erwartet, der Elefant werde sofort getödtet werden; indessen schien ihn der Durchgang der Elektrizität durch seinen Körper nur etwas warm zu machen, denn er ergriff mit seinem Rüssel ein Brett und fächerte sich Luft zu. Die Besitzer des Elefanten wollen nun von dessen Tödtung absehen und haben ihn nach Charleston gebracht, wo er mit der drüben üblichen Reklame als das einzige Thier, das dem elektrischen Strom widerstanden hat, gezeigt wird.


23. Februar 1902

Jagdglück: In unserer Stadtforst wurden bei der letzten abgehaltenen Hochwildjagd auch 2 Sauen, darunter ein Hauptschwein (ein 6 bis 7jähriger Keiler von über 2 Centnern Gewicht) erlegt. Der Kopf dieses alten Bassen, der das respektable Gewicht von 30 Pfund hat, befindet sich zur Präparierung bei Herrn Menzel hierselbst, ebenfalls die Schwarte oder Decke, die einen halben Centner wiegt. Dieselbe ist so stark und hart, daß ein anderer Keiler, ein Rivale, bei der Ausfechtung eines Ehrenhandels ein Stück seiner Hauer oder Stoßzähne in der geharnischten Panzerung (auch Schild genannt) abbrach, das in derselben stecken blieb. Der glückliche Schütze dieses capitalen Borstenthieres war der Jagdherr selbst, das Thier wurde mit einer einzigen, aber sehr sicheren  Kugel gestreckt.


27. Februar 1902

Eine tiefsinnige Frage geht in Berlin von Mund zu Mund: "Können Sie mir fünf Wochentage ohne a in deutscher Sprache nennen?" Der Gefragte zieht - zumal er Sprachkenner ist - die Stirn in ernste Falten, grübelt eine Weile und bekennt endlich sein Unvermögen. Der Fragesteller aber erwidert triumphierend: "Nichts leichter als das: vorgestern, gestern, heute, morgen und übermorgen." So dringen große Wahrheiten in die breiten Schichten der Bevölkerung.