Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1902

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5. Oktober 1902

Wir befinden uns thatsächlich bereits im Winter, während nach dem Kalender vor wenigen Tagen erst der Herbst begonnen hat. Aus Königsberg i. Pr. berichtet die Königsberger Allgemeine Zeitung: In der Nacht zu Freitag sank die Temperatur auf -5,7 Grad Celsius. Das Obst und Gemüse hat durch den Frost sehr gelitten, ebenso ist der angerichtete Schaden auf den in der Umgegend liegenden Ziegeleien ein bedeutender, da nach ungefährer Schätzung ca. 8 Millionen Ziegel erfroren sind. - Vom Unterharz wird unter dem 2. des Monats gemeldet: Es schneit seit vergangener Nacht ununterbrochen, so daß die Dächer und Bäume weiß bedeckt sind. Der Wind weht empfindlich kalt aus Ost. - Gestern Vormittag herrschten, nach einer Meldung aus Stuttgart, starke Schneefälle auf der Schwäbischen Alb und den benachbarten Höhen.

Die aufgezehrte Ausstellung:

Bei einer Kochkunstausstellung in Warschau war die Neuerung getroffen worden, daß die Besucher der Ausstellung frei von den ausgestellten Speisen kosten dürften. Das hatte aber einen ungeahnten  Erfolg; denn nachdem 750 Besucher der Ausstellung von ihrem Recht Gebrauch gemacht hatten, waren sämmtliche genießbaren Ausstellungsgegenstände verzehrt. Und so kam es, daß gleich am Eröffnungstage von der ganzen Ausstellung nur die leeren Schüsseln übrig blieben. Ein Erfolg, mit dem die Veranstalter nicht gerechnet hatten, der aber sowohl von dem Appetit der Besucher wie auch von der Vortrefflichkeit der ausgestellten Speisen beredtes Zeugniß ablegt.

Die Rechenkünstler: Folgenden Brief erhielt kürzlich ein Lehrer an einer amerikanischen Schule von den Eltern eines seiner Schüler:" Wollen Sie künftig meinem Sohn bitte leichtere Hausaufgaben geben: Dieser Tage hatten sie ihm folgende Aufgabe aufgegeben: Wenn vier Gallonen Bier zweiunddreißig Flaschen füllen, wie viel Flaschen werden dann durch neun Gallonen gefüllt? - Wir haben den ganzen Abend versucht, das herauszufinden; es war aber unmöglich. Mein Sohn weinte und sagte, er wolle am nächsten Tage nicht in die Schule gehen. Ich mußte also neun Gallonen Bier kaufen, was mir sehr schwer gefallen ist, und dann haben wir uns viele Flaschen geliehen. Wir haben sie gefüllt und mein Sohn hat die Zahl als Antwort aufgeschrieben. Ich weiß nicht, ob sie richtig ist, da wir beim Umgießen etwas Bier verschüttet haben. P.S. Bitte das nächste Mal mit Wasser rechnen lassen, da ich nicht mehr Bier kaufen kann.

Ein hübsches Deutsch verzapft das vom kaiserl. Patentamt herausgegebene "Blatt für Patent-, Muster-und Zeichenwesen". Es bezeichnet nämlich als Gegenstand einer reichsgerichtlichen Entscheidung: "Berücksichtigung von in der auf Nichtneuheit gestützten Nichtneuigkeitsklage nicht vorgebrachten neuheitshindernden Thatsachen von Amtswegen." Leider ist es ja bekannte Thatsache, daß die großen Sünden an der deutschen Sprache von Behörden verübt werden.


18. Oktober 1902

Die Unpünktlichen eines großen Berliner Waarenhauses, dessen nach Hunderten zählende Angestellte meist in einem und demselben Vorort wohnen, der mit der Wannseebahn in wenigen Minuten zu erreichen ist, müssen des Morgens die Zeit und Gründe ihres Zuspätkommens in eine zu diesem Zwecke ausliegende Liste einzeichnen. Der erste der Unpünktlichen giebt seinen Grund an, der gewöhnlich so lautet:" Zug verspätet" oder  "Straßenbahn gestört" oder "Omnibuspferd gestürzt" etc., während alle Folgenden nur ein dito daruntersetzen. Diese summarischen Dito haben sie sich so angewöhnt, daß sie sich meist gar nicht die Zeit nehmen, den erst angegebenen Grund zu lesen.

Eines Morgens, so wird im "Confect" erzählt, schrieb der Erste:" Frau krank, Zwillinge" und pflichtschuldigst folgten die Ditos. Man kann sich das Erstaunen des Prinzipalso denken, als er konstatirte, daß an diesem gesegneten Tage seinem Personal etliche 50 Zwillinge geboren waren, sein Erstaunen wurde noch gesteigert durch die Entdeckung, daß sich selbst etliche Lehrlinge unter den Bescheerten befanden.


19. Oktober 1902

Ein strenges Gesetz gegen Junggesellen ist vor kurzem in einem Staate der argentinischen Republik verkündet worden. Das Heiratsalter in Argentinien beginnt mit 20 Jahren. Wenn ein Mann von der Zeit an bis zum 30. Jahre unverheirathet bleibt, muß er monatlich 20 Mark bezahlen. In den nächsten 5 Jahren wächst die Abgabe um 100 Prozent. Zwischen 35 und 50 Jahren zahlt er eine monatliche Geldstrafe von 80 Mark, von 50 bis 75 Jahren 120 Mark monatlich, und erst nach 75 Jahren wird die Abgabe auf 40 Mark jährlich ermäßigt. Nach dem achtzigsten Jahre bezahlt der Junggeselle nichts mehr. Wittwer dürfen 3 Jahre trauern und müssen sich dann wieder verheirathen. Wer in einem Jahr nachweisbar dreimal einen Korb bekommen hat, wird von der Steuer befreit. Das Gesetz soll Wunder wirken.


24. Oktober 1902

Von einer Trauung mit Hindernissen erzählt ein Libauer Blatt: Vor einem Hause der Espenstraße in Libau hielt dieser Tage eine Equipage, die ein "glückliches" Brautpaar zur Kirche bringen sollte. Die Gäste erschienen und auf der Straße sammelte sich die übliche gaffende Menge, als plötzlich aus dem Hause gewaltiges Gejammer und Geschrei ertönte. Der Bräutigam bestand nämlich darauf, daß ihm vor der Trauung die versprochene Mitgift von 4000 Rubel ausgehändigt werde, widrigenfalls er sich nicht trauen lasse. Die Panik, die im Hause entstand, pflanzte sich nach der Straße fort, wo die Menge für oder wider den Bräutigam Partei nahm, was zu einigen - glücklicherweise unblutig verlaufenden - Straßenkämpfen führte. Die Mitgift war nicht aufzutreiben, der Bräutigam wurde aber trotzdem einigermaßen besänftigt, und darauf setzte sich der Zug zur Kirche in Bewegung. Unterwegs ließ aber der Bräutigam plötzlich die Equipage halten und wollte mit gewaltigen Sprüngen die Flucht ergreifen; er wurde aber unter großem Halloh des Publikums eingefangen und im Triumph zu der glückstrahlenden Braut zurückgebracht, dann zerrte man den sich Sträubenden zur Kirche und schmiedete ihn in die "goldenen" Fesseln der Ehe.


28. Oktober 1902

Tätowirte Soldaten:

Das preußische Kriegsministerium hatte vor einiger Zeit in Bezug auf Tätowirungen an den Körpern der Gestellungspflichtigen dem Reichsjustizamt werthvolle Ermittlungen zugehen lassen. Bei den Aushebungen wurde nämlich bemerkt, daß ein großer Theil der Rekrutenaspiranten, die längere Gefängnißstrafen verbüßt haben, an ihren Körpern Tätowirungen aufwiesen, mitunter recht unsittlicher Art. Die Nachfragen er-gaben, daß diese Tätowirungen in den Gefängnissen aus langer Weile vollzogen worden waren. Es ist daraufhin den Gefängnißdirektionen zur strengen Pflicht gemacht worden, derartige Verunzierungen des Körpers zu verhüten. Es finden indessen weitere bezügliche Erhebungen statt, namentlich beim Militär vor allem werden die mit Tätowirungen versehenen Rekruten befragt, auf welche Weise sie dazugekommen sind. Von den Militärärzten sollen nach Möglichkeit die Zeichnungen entfernt werden. Unsittliche Tätowirungen sollen mit Beyersdorffschem Zinkguttaperchapflaster bedeckt werden, damit sie bei Untersuchungen oder beim Baden von den Kameraden nicht gesehen werden. Im übrigen ist es den Soldaten bei Arreststrafe verboten, sich während der Dienstzeit tätowiren zu lassen. Alte Tätowirungen sind aufs genaueste im Nationale einzutragen.


29. Oktober 1902

Das Gähnen im Parlament: Englische Blätter melden den interessanten Fall einer parlamentarischen Ordnungsstrafe, den alle Freunde des parlamentarischen Ernstes und Anstandes mit tiefer Genugthuung, vielleicht auch mit Bedauern zur Kenntniß nehmen werden, mit Bedauern, weil sich der Fall blos in Japan ereignet hat. Dort wurde nämlich ein Abgeordneter deshalb zu drei Tagen Haft und einer Geldstrafe verurtheilt, weil er sich in einer Sitzung des Parlaments besonders hervorgethan hatte. Der öffentliche Ankläger, der diese interessante Entscheidung provoziert hatte, hob ausdrücklich hervor, daß die offen zur Schau getragene Theilnamslosigkeit jenes Abgeordneten, sein Gähnen, das den Mangel an Interesse an den parlamentarischen Vorgängen jener Sitzung zum Ausdruck brachte, demoralisierend wirken müsse, ganz abgesehen davon, daß es heilige Pflicht des Abgeordneten sei, sich für alle Funktionen des Legislaturkörpers, dem er angehört, zu interessieren. - So geschehen in Japan. In europäischen Parlamenten ist das Gähnen eine so alltägliche und häufige Erscheinung, daß man deswegen nicht gut Strafen verhängen kann.