1902
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember2. März 1902
In der vor einigen Tagen hier im Alter von nahezu 93 Jahren gestorbenen Frau Richter ist eine Dame aus dem Leben geschieden, die ihre Jugend in Weimar verlebt und Goethe persönlich gekannt hat. Die Greisin, die sich bis an ihr Ende geistige Frische bewahrte, wußte über Goethes Auftreten in der Öffentlichkeit, seine äußere Erscheinung, seine Lebensweise usw. mancherlei zu erzählen.
7. März 1902
Annoncenteil: 5 Mark Belohnung erhält Derjenige, welcher mir den Dieb nachweist, der mir auf dem Scheunengrundstück kl. Eichholzsch. und Mist gestohlen hat, dass ich ihn zur gerichtlichen Strafe ziehen kann. (Carl Tilgner, Osterberg)
11. März 1902
"Drei Wochen vor Ostern, da geht der Schnee weg!"
Mit diesen Worten beginnt ein altes Volkslied, das es freilich mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt. Einen Beweis dafür liefert uns das Wetter von gestern und heute, denn gerade 3 Wochen sind noch bis Ostern, aber der Schnee ist nicht weggegangen, sintemalen [weil] schon lange keiner mehr vorhanden war, aber in lustigem Flockentanze fiel er gestern des ganzen Tages vom Himmel herab; allerdings ging er gleich darauf wieder weg, denn das Thermometer zeigte ungefähr 1 Grad über Null und zeitweise war der Schnee auch mit Regen vermischt, so daß sich auf den Straßen ein unsagbarer Schmutz bildete. Während der Nacht sank das Thermometer um einige Grad unter Null und heute früh hatten wir die schönste Winterlandschaft, wie mitten im Januar. Rudolph Falb kann diesmal triumphieren. Er hat den 10. März als kritischen Tag erster Ordnung bezeichnet, ist dabei aber so vorsichtig gewesen, eine Verschiebung desselben von 3 oder 4 Tage als möglich hinzustellen.
Die neue Rechtschreibung:
Nach einem Beschluß des Staatsministeriums soll die z. Zt. zur Beseitigung der großen Verschiedenheiten auf dem Gebiet der deutschen Rechtschreibung vom Kultusministerium festgestellt einheitliche Rechtschreibung für den Schulunterricht bei den staatlichen und den jenen unterstellten Behörden eingeführt werden; auch den kommunalen Behörden soll von Seiten des Ministers die Einführung der einheitlichen Rechtschreibung für den amtlichen Verkehr empfohlen werden. Als Einführungszeitpunkt ist der 1. Jan. 1903 in Aussicht genommen. Den betheiligten Staatsbehörden sind bereits Abdrücke der für die einheitliche Rechtschreibung gültigen Regeln mit einem Wörterverzeichnis zur Kenntnis übergeben, um die zur Einführung jener Rechtschreibung erforderlichen Maßnahmen schon jetzt vorbereiten zu können.
12. März 1902
Merzwiese: Gegenwärtig wird unser Ort von einer Masernepidemie heimgesucht. Während anfänglich die erwachsene Jugend von dieser Krankheit befallen wurde, greift jetzt die Krankheit mehr unter den ganz Kleinen und Schulkindern um sich, so daß bereits die Hälfte der Schulkinder den Unterricht versäumen muß. Glücklicherweise ist bis auf einen Fall die Krankheit gutartig verlaufen.
15. März 1902
Landsberg a. W.: Gestern, Donnerstag, wurde in Bürgerbruch eine echte Bauernhochzeit gefeiert, die alle übertroffen hat, was bis jetzt dagewesen ist. Ein Bauer heiratete die Tochter seines Nachbars, ebenfalls eines reichen Bauerngutbesitzers. Es waren zu diesem Feste nicht weniger als 150 Gäste geladen worden. Um diese Menschenmenge zu bewirten, sind geschlachtet worden:
2 Ochsen, 3 Kühe, 2 Kälber, 4 Schweine, 4 Centner Fische, 50 Hühner, Puten, Enten und Gänse. Kuchen wurden von 3 Bäckermeistern geliefert, Getränke wurden von Brauereien, Wein von 4 Weinhandlungen entnommen. Es ging aber auch sonst sehr großartig her, zwei Musikerkapellen lassen ihre Weisen zum Tanz ertönen. Die Hochzeit wird voraussichtlich drei Tage in Anspruch nehmen. Der Weg bis zur Kirche ist zu einem Parkweg ausgebaut: mehrere Vereine bildeten zu Ehren des Paares Spalier.
16. März 1902
Die eindringliche Mitarbeit der Schulen bei der Bekämpfung der Trunksucht verlangt der Kultusminister. Er hat an die Regierungen und Provinzial-Schul-Kollegien den folgenden Erlaß gerichtet: "Die Bekämpfung der Trunksucht ist gegenwärtig zu einer Aufgabe geworden, an deren Lösung die weitesten Kreise sich beteiligen. Auch die Schule kann hierzu mitwirken im Sinne einer Belehrung des Volkes, die schon bei der Jugend einsetzen kann.
Neben rührigen Vereinen haben auch parlamentarische Kreise sich dieser wichtigen Angelegenheit angenommen und unter den Mitteln, die zur Bekämpfung des Alkoholgenusses empfohlen worden sind, ist mit Recht auf die Mitarbeit der Schulen hingewiesen worden ...
19. März 1902
Noch ist die Ehrlichkeit nicht ausgestorben. am 1. April 1886 bewirkte ein hiesiger Spediteur einen Möbeltransport, ohne den dafür zu entrichtenden Betrag von dem Auftraggeber zu erhalten. Jetzt, nach 16 Jahren, erhielt der betreffende Spediteur ganz unerwartet die längst verloren gegebenen 15 Mark durch Postanweisung als Bezahlung für jene Fuhre zugesandt.
20. März 1902
Das Vaterunser auf ein Fünfpfennigstück zu gravieren, dieses Kunststück hat ein Berliner zuwege gebracht. Der Lehrer Otto in Dudweiler entdeckte dieser Tage unter seinem Gelde ein Fünfpfennigstück, das ein anderes Aussehen hatte, wie die üblichen Münzen. Der Adler auf dem Geldstück war nämlich vollständig abgeschliffen und auf diese eine Seite das Vaterunser in vollständigem Wortlaut, ohne ein Wort abzukürzen oder auch nur ein Wort zu trennen, in schöner Schrift eingraviert. Am Schlusse des Vaterunsers stand der Name des Künstlers:
"L. Grappitz, Berlin, 15.6.1894." - Für ein scharfes Auge ist die Schrift ohne Lupe lesbar.
27. März 1902
Annonce
Bekanntmachung
Unter Hinweis auf die Lokal-Polizei-Verordnung vom 11. April 1851 und 30. August 1866 fordern wir die hierzu Verpflichteten auf, bis auf Weiteres an jedem Montag und Sonnabend, sowie am Tage vor einem Feste bis Nachmittags 6 Uhr den Bürgersteig, den Rinnstein und den Straßendamm bis zur Mitte, sowie die Rinnsteine an jedem Wochentage gründlich zu reinigen. Die Revierpolizeibeamten sind angewiesen, jede unterlassene Reinigung zur Bestrafung anzuzeigen.
Guben, d. 20. März 1902 - Die Polizei-Verwaltung - Bollmann