Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1903

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1. Januar 1903

Zu einem Pferdefleisch-Probeessen läßt der Berliner Thierschutz-Verein Einladungen ergehen. Das Dinner soll der Propaganda dienen; die  Theilnehmer sollen sich überzeugen, daß Roßfleisch keineswegs zu verachten ist, wenn die Thiere, die es liefern, nur nicht erst im Stadium vorgerückter Altersschwäche dem Schlächter übergeben werden. Das eigenartige Mal soll Donnerstag den 8. Januar 9 Uhr abends im großen Saale des Luisenhofes, Dresdenerstraße 34/35 stattfinden; Speisekarte stellt drei Gänge in Aussicht und zwar zunächst Kraftbrühe mit Croutons, des weiteren Pökelzunge, Meerrettich oder Kartoffeln, schließlich nach Wahl gespicktes Filet in Madeira und Schweizer Sahnenbraten. Dabei sei daran erinnert, daß die Vorstandsmitglieder des Thierschutzvereins, als sie die "Allgem. Fleischerzeitung" zu einem opulenten Pferdefleischdinner einlud, um zu ermitteln, ob dieselbst Herren die Werthschätzung des Pferdefleisches für ihre eigene Person praktisch zu bethätigen genügt seien, sich sammt und sonders drückten.

Vier lebende Maikäfer wurden uns heute von Gastwirth Müller, Gambrinushalle, überbracht. In jedem Winter lassen sich Maikäfer und Schmetterlinge an warmen Tagen dazu verleiten, aus ihren Schlupfwinkeln herauszukriechen. Es ist völlig unangebracht, was viele thun, beim Entdecken eines solchen Thierchens gleich anzunehmen, daß die Kraft des Winters bereits endgiltig gebrochen ist.


9. Januar 1903

Im Jahre 1902 sind in Guben geboren 998 Kinder (519 Knaben, 479 Mädchen), darunter 89 uneheliche. Gestorben sind 666 Personen (363 männliche, 303 weibliche), darunter Kinder unter einem Jahr 186, und 87 Todtgeburten. Ehen wurden 292 geschlossen.


10. Januar 1903

Gerichtliches: Graf Pückler ist wegen Beleidigung des Gastwirths zum Goldenen Löwen in Hauptwil, Kanton Thurgau, Jean Etter, und seines Angestellten Haeusli, von denen Pückler behauptet hatte, sie hätten ihn durch vergiftete Suppe töten wollen, von dem Schöffengericht beim Berliner Amtsgericht I zu 450 Mk. Geldstrafe eventuell 30 Tage Gefängniß verurtheilt worden.

Unkenntniß der Rechtschreibung hat einen biederen Ehemann in der nördlichen Karrharde (Apenrade) in große Verlegenheit gebracht. Er hatte nach langem Nachsinnen beschlossen, seiner Frau ein paar große Haussegen (Bilder) zum Weihnachtsfeste zu schenken. Er bestellte sie schriftlich bei seinem Kaufmann in der Stadt und freute sich herzlich, als das große Packet gerade in Abwesenheit seiner Frau eintraf. Er verwahrte das Packet an einem sicheren Ort und am Weihnachtsabend überreichte er es freudestrahlend seiner Ehehälfte. Diese nimmt mit herzlichem Dank das Geschenk entgegen und öffnet voll Spannung das Packet. Doch sie glaubt ihren Augen nicht zu trauen und auch ihr Ehemann steht da mit einem keineswegs geistreichen Gesicht. Zum Vorschein kommen nämlich zwei große Sägen, wie sie der Tischler gebraucht. Der gute Mann hat Haussägen statt Haussegen geschrieben.


11. Januar 1903

Über das große Pferdefleisch-Probe-Essen, das der Berliner Thierschutzverein am Donnerstag Abend im Luisenhof veranstaltete, schreibt der bekannte Humorist Julius Settenheim u.A.: Etwa 600 Tischgäste! Und mit Entsetzen bemerkte ich, daß selbst das gutmüthige Pferd sich nicht ohne Musik genießen läßt. "Das Schlachtroß steigt, und die Trompeten klingen!" Auch die Reden klangen, die die Tafel einleitende Rede des Herrn Regierungsraths Sefeld wurde sogar noch deutlicher vernommen und mit Beifall angehört.

Der erste Gang, die Kraftbrühe, und der dritte, das gespickte Filet in Madeira, mundeten ganz vortrefflich, und selbst der in Freiheit dressirte Feinschmecker konnte nicht behaupten, er höre beim Essen ein gewisses Wiehern oder er müßte so feinhörig sein, daß er bei einem anderen Essen brüllen oder grunzen zu hören pflegt.

Eine Wurst, die von gutgelaunten Roßschlächtern herumgereicht wurde, ließ sich gleichfalls nicht von einer Cervelatwurst, welche einen anderen Stammbaum hat, unterscheiden.

Die Damen, welche anwesend waren und in der Küche zu Hause und zu Hause in der Küche sind, schienen sehr zufrieden und für das Pferd völlig gewonnen. Eine Tafel war den Stadtverordneten, eine andere den Vertretern der Presse reservirt; an beiden Tafeln lobte man das Pferd aus vollem Munde. Im Vorsaal war eine Ausstellung von Roßbraten und verwandter Kost vom Verein Berliner Roßschlächter etablirt, und man kaufte viel für den Hausstand ein.

Als ich gegen Mitternacht das Souper verließ, wurde im Saal noch tüchtig eingehauen, wie dies das arme Pferd bei Lebzeiten seitens der Herren Kutscher in anderer Weise wohl als schmerzlich erduldet hat.


14. Januar 1903

Viehzählung: Bei der am 1. Dezember v.J. vorgenommenen Viehzählung wurden im Landkreise Guben (mit der Stadt Fürstenberg) 4563 Pferde, 23743 Rinder, 8075 Schafe und 24888 Schweine, bei der Zählung im Jahre 1900 dagegen 4798 Pferde, 25326 Rinder, 8476 Schafe und 22598 Schweine gezählt. Die letzte Zählung ergab mithin 235 Pferde, 1583 Rinder, 401 Schafe weniger, dagegen 2290 Schweine mehr.

Ein kritischer Tag erster Ordnung ist nach Falb der heutige Tag, der 13. Januar. Ein Umschlag in der Witterung ist bereits gestern eingetreten. Nachdem an den letzten Tagen voriger Woche bis 10 Grad C. Wärme und sogar noch darüber herrschten, fiel das Thermometer gestern bei heftigem, kaltem Nordwind bis auf den Nullpunkt und heute Nacht bis 6 Grad unter Null. In Berlin hat es gestern mehrere Stunden heftig geschneit. Die deutsche Seewarte sagt kälteres Wetter mit Niederschlägen für die nächste Zeit voraus.

Potsdam: Die abnorme Witterung hat es ermöglicht, daß auf dem Kühne´schen Terrain am 1. Mühlenweg beim Heiligen See bereits Spargel gestochen werden konnte, gewiß eine bemerkenswerte Rarität.


15. Januar 1903

Über einen Wilderer-Witz wird der "M. Allg. Ztg." aus Tirol berichtet:  Im Zillertal können die Förster und Jäger trotz aller Anstrengungen mit den Wilderern nicht fertig werden. Während des verflossenen Herbstes gelang es den Wilderern wiederum, eine erkleckliche Anzahl von Gemsen wegzuschießen, und in ihrer Freude darüber beschlossen sie, den Jägern einen ordentlichen Schabernack zu spielen.

Am Morgen des Christtages fand man auf der Brücke Dornauberg einen Tannenbaum, der mit Lichtern geschmückt und mit einem Dutzend Gemskrickeln behängt war. Dabei lagen Zettel, die anführten, welchem Förster oder Jäger jedes Krickel zugedacht war.

Ob dieses Witzes durften sich die Förster und Jäger lange nicht zeigen ohne verspottet zu werden. (Krickel - jägersprachlich Horn der Gemse)


22. Januar 1903

Freßvereine bestehen in Nürnberg in beträchtlicher Anzahl. Ein Blick in das im Selbstverlag des Stadtmagistrats von Nürnberg herausgegebene Adreßbuch zeigt den hohen sittlichen Standpunkt, welchen einzelne von den etwa 500 in Nürnberg bestehenden Vereinen einnehmen. Hier ist der Name keineswegs "Schall und Rauch", sondern durchaus charakteristisch für seine Träger.

Außer einem Verein der Raucher, der gemüthlichen Schnupfer und einem Lügenclub finden sich folgende: Die gemüthlichen Zecher, Die feuchten Brüder, Die Unverbesserlichen, Die Fresser Nürnbergs, Fresser Steinbühl, Fresser Zipfelbauern, Freßclub Maxfeld, Freßverein Gobl, Freßverein der Protzen, Freßverein Plärrer, Freßverein Premier und Hans Sachs-Freßverein.

Daß diese Freßvereine in einem Lande, in welchem die reichsten Leute die Brauer, der Haupthandels- und Ausfuhrartikel das Bier ist, ihren Daseinszweck, das Fressen, nicht trockenen Mundes erfüllen, ist wohl selbstredend, und so dürften die verschiedenen Freßvereine thatsächlich ebenso viele - um im Stile des Nürnberger Adressbuches zu reden - Saufvereine sein.


23. Januar 1903

Das bekannte russische Sprichwort: "Je mehr Wächter man hat, je mehr wird man bestohlen", fand, wie aus Petersburg der "Kgsbg. Hart. Ztg." geschrieben wird, eine überaus drastische Illustration durch einen fast unglaublichen Diebstahl im kaiserlichen  Schloß Peterhof. Man muß es den Russen lassen, daß alles, was sie thun, einen Zug ins Große aufweist, sogar das Stehlen.

Vor einigen Jahren wurde eine Lokomotive gestohlen, etwas später ein Dreimastvollschiff, und in Bessarabien bilden ganze Pferdeherden willkommenen Diebesbeute.

Die Entwendung des größten Theiles der Dekorationen aus dem kaiserlichen Theater dürfte auch noch in Erinnerung sein; aber der neueste Fall übertrifft alle vorausgegangenen Leistungen an Großartigkeit. Im Schlosse Peterhof ist eingebrochen worden, und was fiel wohl den Dieben zum Opfer? Kunstwerke und Antiquitäten, die ein einzelner überhaupt nicht vom Platze hätte bewegen können wegen ihrer Schwere und starken Befestigung an der Wand oder im Boden. Es muß also viel Lärm gemacht worden sein, ohne daß einer der gerade in Peterhof  besonders zahlreichen Wächter das Geringste merkte.

Fast hinter jedem Baume steht ein Militärposten und auf den Gängen wimmelt es von Lakaien und Kammerdienern. Erst am Morgen sah man die Bescheerung. In einem der Säle war alles von unterst zu oberst gestürzt. Die schönsten Statuen und Statuetten, eine Uhr von unschätzbarem Werthe und kostbare Bronzegegenstände fehlten. Von solchen Werken, die den Dieben zu schwer waren, hatten sie einzelne Theile, Arme, Köpfe usw. abgebrochen, um das Metall wenigstens zu verwerthen.

Als das Verbrechen bekant wurde, gerieth natürlich alles in die größte Aufregung. Der Oberpolizeimeister kam sofort mit einer großen Anzahl Gendarmen und Geheimpolizisten nach dem Schlosse, ließ alle Ausgänge besetzen und jedes Haus im Orte durchsuchen. Endlich glückte es, die Diebe zu entdecken; es waren Bauern aus den umliegenden Dörfern, eine ganze Bande, der es gelang, unbemerkt in das Schloß einzudringen. Man fragt sich, wie so etwas möglich gewesen sei. Entweder haben die Leute im Einverständniß mit Personen im Schlosse gehandelt oder der Wachtdienst ist überaus nachlässiger. Jedenfalls zeigt dieser Vorfall, daß den Zaren und sein Eigenthum selbst eine lebende Mauer nicht vor äußeren Eingriffen zu schützen vermag.

Kindersegen: Aus Brühl im Landkreis Köln wird berichtet: Einen Rekord im Kindersegen hat jedenfalls der Fuhrmann Engels in Kardorf aufgestellt. Er meldete dieser Tage sein dreißigstes Kind auf dem Standesamte. Engels ist zum zweitenmal verheirathet; aus der ersten Ehe stammen 17, aus der zweiten 13 Kinder. Sein Haus ist ihm begreiflicherweise zu klein geworden und der 60jährige Mann muß sich nach einer größeren Wohnung umsehen.


28. Januar 1903

Der greise Historiker Theodor Mommsen hat kürzlich einen merkwürdigen Unfall erlitten. Als er mit einem Licht eine Leiter bestieg, um eine Buch aus der Bibliothek zu holen, fing sein Haar Feuer, und er wurde leicht im Gesicht verletzt.