Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1903

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6. September 1903

Der Bau der Bahn Guben-Forst schreitet rüstig vorwärts. In Schlagsdorf und in Groß-Gastrose ist schon mit dem Bau der Bahnhofsgebäude begonnen worden. Die Ausführungen sind dem Maurermeister Walter in Guben übertragen worden. In Gastrose wird ein schönes zweistöckiges Bahnhofsgebäude errichtet. Die Arbeiten gehen schnell von statten, so daß in wenigen Wochen das Hauptgebäude zur Vollendung gelangen wird. Ebenso hat man auch von Groß-Gastrose bis Briesnigk Telegraphenstangen aufgestellt. Vorläufig soll nur Telefonverbindung eingerichtet werden, damit die Bauleitung in Guben sich in kürzester Zeit mit den einzelnen Bauabteilungen verständigen kann. Da die Ernte zum großen Teile vorüber ist, so können die einzelnen Kolonnen bald mit größerer Zahl von Arbeitern die Erdarbeiten fortsetzen. Leider finden sie unangenehme Unterbrechung an den Stellen, an welchen Bauerlaubnis noch nicht erteilt worden ist; die Strecken müssen dann nachträglich fertiggestellt werden. Dennoch hofft man, mit sämtlichen Erdarbeiten im Spätherbste fertig zu sein.


10. September 1903

Eine Hexenaustreibung. Es wage keiner mehr zu behaupten, man lebe in einer aufgeklärten Zeit. Aus Folgendem, das uns von einem als zuverlässig bekannten Mitarbeiter als wahr verbürgt wird, ist zu entnehmen, wie weit der Aberglaube noch unter den Leuten, namentlich auf dem Lande herrscht. Eine Frau in einem größeren Dorfe wollte seit längerer Zeit wahrgenommen haben, daß ihr Rindvieh nicht mehr so recht gedeihe. Ihr fiel namentlich auf, daß eine junge Kuh von Tag zu Tag magerer wurde. Wenn sie butterte erhielt sie statt der Butter weißen Schaum. Auch hatte sie eines Tages zu mitternächtiger Stunde eine Person aus ihrem Viehstalle sich eiligst entfernen sehen, und als sie näher zusah, entdeckte sie im Stalle einen alten Topf, enthaltend eine Unmenge alter verrosteter Stecknadeln, Nägel, Haare, Wolle, Papierfetzen und dergl. Die nichterkannte Person hatte, so meinte man nun, die Absicht gehabt, den Topf mit seinem Inhalte unter der Schwelle des Stalles zu vergraben, war aber dabei offenbar gestört worden. Was lag nun näher, als daß das Vieh verhext war? Und um die böse Absicht der Hexe zu vereiteln, mußte schleunigst etwas getan werden. Glücklicherweise wußte die arme Frau Rat. In der Stadt Guben ist ja eine "kluge Frau", die sich auf so etwas versteht. Sie wird geholt, und es wird nun folgender Hokuspokus getrieben: Von einem Grenzraine und vom Kirchhofe müssen 10 Mittel, wie verwittertes Holz, Kräuter, Holz von alten Grabkreuzen, alte Totenkränze u. dergl. gesammelt werden. Damit wird der Stall gehörig ausgeräuchert. Weiter werden aus der Apotheke 5 Mittel beschafft, damit wird, nachdem sie durch Kochen vorbereitet sind, das Vieh "verwaschen". Daß bei alledem auch die nötigen Sprüchlein und Formeln hergesagt werden, ist selbstverständlich. Nachdem nun noch der klugen Frau als Honorar 10 Mark für ihre Bemühungen ausgezahlt waren, war der Stall von allem Unrat gesäubert. Das Vieh gedeiht nun wieder zu aller Freude, und neues Glück ist darin eingezogen. Zum Schluß soll auch noch bemerkt werden, daß die kluge Frau nicht unterlassen hat zu verraten, wer das Vieh verhext hat, nämlich die Person, die in den nächsten neun Tagen in das Haus tritt, um sich etwas zu borgen. Leider ist das nicht an die Öffentlichkeit gelangt, denn sonst wäre diese Person an den Schandpfahl gekommen. - Rein mittelalterliche Zustände!


15. September 1903

Die in der Stadt verbreiteten Gerüchte, das Elektrizitätswerk käme in diesem Jahre nicht mehr in Betrieb, entsprechen, wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren, nicht den Tatsachen. Die Bauarbeiten sind so weit vorgeschritten, daß im Laufe dieser Woche noch sämtliche Gebäude unter Dach kommen; mit der Aufstellung der Maschinen wird alsdann sofort begonnen. Die Anlieferung der Leitungskabel wird ebenfalls in diesen Tagen erfolgen und die Verlegung sofort in Angriff genommen. Diese Arbeiten sowie die Aufstellung der Maschinen dürften spätestens am 1. November beendet sein, so daß die Inbetriebsetzung des Werkes bestimmt am 1. Dezember zu erwarten ist.


19. September 1903

Späte Liebe. In der Pfarrkirche zu Bernsdorf im böhmischen Riesengebirge stand am 15. September vor dem Altar ein Brautpaar, das zusammen 152 Jahre zählt. Der Bräutigam, der zu Bernsdorf wohnende Häusler Franz Breuer, zählt vier Urenkel, deren ältester 12 Jahre alt ist. An der Seite dieses würdigen, 85 Jahre alten Vaters, Großvaters und Urgroßvaters stand als Braut die 67 Jahre alte Witwe Pauline Gaherte, ihrerseits ebenfalls glückliche Mutter und Großmutter, welche sich trotz ihres hohen Alters noch großer Rüstigkeit erfreut, die ihr bei der Führung des neuen Haushalts gut zustatten kommen dürfte.


20. September 1903

Guben auf der Weltausstellung in St. Louis. Die gestrige Stadtverordnetenversammlung erteilte ihre Genehmigung dazu, daß die auf der Dresdener Städteausstellung befindliche Kopie des Möhle´schen Wasserwerksplanes für die Stadt Guben auf die Weltausstellung nach St. Louis gebracht werde. Von den Ausstellungsobjekten der Dresdner Ausstellung sind 50 Gegenstände vom Reichskommissar für die Weltausstellung in St. Louis ausgewählt worden, und unter diesen befindet sich auch das Modell unseres Wasserwerks, weil hier die Aufgabe, eine Stadt mit verschiedenen Höhenlagen mit Wasser zu versorgen, am glücklichsten gelöst ist....


22. September 1903

Kindersegen. In Diedesheim am Neckar, wurde einem dortigen Einwohner in der letzten Woche sein 30. Kind geboren. 7 Sprößlinge aus diesem reichen Kindersegen stammen aus erster Ehe, die übrigen 23 von der zweiten Frau.


23. September 1903

Die größte Geschwindigkeit, mit der jemals ein menschliches Wesen befördert worden ist, hat am Sonnabend die Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen auf der Versuchsstrecke zwischen Marienfelde und Zossen erreicht. Der neuverlegte stärkere Oberbau war am Montag im Auftrage des Streckenkommissars abgenommen worden. Am Dienstag wurden dann die Versuchsfahrten aufgenommen. Hierbei beschränkte man sich auf Geschwindigkeiten bis zu 140 Kilometer in der Stunde. Am Mittwoch wurden dann die Versuchsfahrten fortgesetzt und bis zu einer Schnelligkeit von 163 Kilometer gesteigert. Es war damit bereits die höchste Leistung der Studiengesellschaft übertroffen. Sie hatte bekanntlich vor 2 Jahren die Geschwindigkeit von 160 Kilometer erreicht. Donnerstag und Freitag wurden zu Vorbereitungen benützt und Sonnabend weiter gefahren. Hierbei wurde eine Geschwindigkeit von 165 bis 167 Kilometer in der Stunde erreicht, einer Leistung, die weder der Studiengesellschaft noch sonst jemandem auf der Erde gelungen ist.


26. September 1903

Chausseebau. Die neue Verbindungschaussee zwischen der Sommerfelder und Guben-Forster Chaussee von Jeßnitz über Kohlo, Wirchenblatt, Weltho, Liebesitz und Reichersdorf geht streckenweise ihrer Vollendung entgegen. Von Jeßnitz bis Kohlo ist sie vollständig fertig, bis Liebesitz sind die Erdarbeiten vollendet und von Reichersdorf ab hat man mit der Steinschüttung und dem Walzen begonnen. Die letzte Strecke hätte schon fertig sein können, wenn nicht die Lieferung der Steine so unregelmäßig und spät erfolgt wäre. Die Fertigstellung des Verbindungsweges nach der Forster Chaussee bei Sadersdorf hat besonders für die Ortschaften Liebesitz und Reichersdorf große Vorteile. Oft sieht man aus genannten Ortschaften 10 bis 14 Wagen hintereinander nach Bahnhof Kerkwitz fahren, um hier ihren Bedarf an Kohlen, Düngemitteln usw. abzuholen. Dieser Verkehr wird sich ohne Frage beim Betriebe der Forst-Gubener Bahn nach Groß-Gastrose noch bedeutend vermehren, und die neue Chaussee wird demgemäß für die an derselben liegenden Ortschaften eine große Verkehrserleichterung sein. Für diejenigen Fuhrwerke freilich, welche von Guben nach Reichersdorf oder umgekehrt wollen, wird ja stets der bei Niemitzsch abbiegende Weg der nächste sein. Leider ist er sehr sandig und uneben, so daß er von Lastfuhrwerken meist nur unter Vorspann zu benutzen ist. Vielleicht verstehen sich die Interessenten mit der Zeit dazu, diesen Weg im Anschluß an die neue Chaussee mit einer festen Schüttung zu versehen.