Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1907

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember

2. Juni 1907

Ein Patenkind des Kaisers. Der Arbeiter August Wonde hierselbst hatte ein Gesuch an den Kaiser gerichtet, ihm für seinen jüngsten Sohn Wilhelm, bei dem der Kaiser s. Zt. eine Patenstelle übernommen hatte, eine Unterstützung zu gewähren, damit der Knabe die Realschule besuchen könne. Aus dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten ist Wonde jetzt der Bescheid zugegangen, daß ihm eine einmalige Erziehungsunterstützung von 105 M gewährt ist. Falls sich der Knabe durch Fleiß und Wohlverhalten auszeichnet, soll ihm bis auf weiteres alljährlich der gleiche Betrag bewilligt werden. Der Knabe besucht bereits seit einigen Tagen die Realschule. Er ist als der 10. Sohn seiner Eltern geboren, doch waren inzwischen einige gestorben, sodaß er bei seiner Geburt der 7. war…


6. Juni 1907

Grober Unfug. In vergangener Nacht wurde von Bubenhänden die Umzäunung des dem Sportverein gehörigen Tennisplatzes bei Krölls Eiskeller in arger Weise beschädigt. Der eine Flügel des Eingangstores wurde samt dem Pfosten vollständig umgebrochen, während die Eingangstür ausgehoben und gänzlich verschleppt worden ist. Sie konnte bisher noch nicht gefunden werden. Allem Anschein nach hatten es die Täter auch noch auf den dort befindlichen Fahnenmast abgesehen, der ebenfalls angebrochen ist. Die jugendlichen Rowdies, mit denen man es hier jedenfalls wieder zu tun hat, werden hoffentlich ermittelt und der wohlverdienten Strafe nicht entgehen.


9. Juni 1907

Der Astronom Professor Johann Gottfried Galle in Potsdam, der Entdecker des Planeten Neptun, vollendet am Sonntag sein 95. Lebensjahr. Vor 56 Jahren wurde er Professor und Direktor der Sternwarte an der Universität zu Breslau, die ihn noch jetzt als ihren Senior verzeichnet. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts war er einige Zeit als Lehrer am hiesigen Gymnasium tätig.

Die “elektrische Rigi-Bahn“ des bekannten Schaustellerunternehmers Haase ist hier eingetroffen und hat auf dem Lubstplatze Aufstellung genommen. Es ist ein ganzer Eisenbahnzug notwendig, um all die mechanischen, technischen Teile, sowie die gesamte Dekoration an Ort und Stelle zu bringen. Um die zur Beleuchtung und Kraft nötige Energie zu erzeugen, führt Haase eine eigene Lokomobile zu 90 Pferdestärken mit sich. Ein anderer Wagen ist nur für den Transport der Riesenorgel bestimmt, die von Fachleuten als ein Kunstwerk ersten Ranges bezeichnet wird. Alles in allem zeigt es sich eben, daß die modernen Schaustellungsunternehmer dem Publikum für ihr Geld etwas Hervorragendes zu bieten wissen.


13. Juni 1907

Bei dem Gewitter, das sich gestern abend über Guben entlud und den ersehnten Regen brachte, traf ein Blitzstrahl das Haus Teichbornstraße 5, das die Familie Abraham bewohnt. Ein Knabe, der im Hausflur stand, wurde hinausgeschleudert, Frau A. zu Boden geworfen, doch blieben beide unverletzt. Der Blitz zündete auch, doch konnte das Feuer ohne Mühe gelöscht werden. Die Decke ist stark beschädigt, ein Bett war wie mit Funken überschüttet. Der Schwefelgeruch war so stark, daß er nicht zu ertragen war und die Einwohner einige Zeit draußen weilten, bis sich der Geruch verzogen hatte.


14. Juni 1907

Wie schon kurz gemeldet, soll der Waldgottesdienst im Höllengrund unmittelbar bei Germersdorf an diesem Sonntag um 4 ½ Uhr nachmittags stattfinden. Die Vorbereitungen dazu werden in ähnlicher Weise getroffen werden, wie zum 1. Pfingsttag, wo der Regen die Abhaltung des Gottesdienstes unmöglich gemacht hatte. Für ca. 100 Personen werden Bänke aufgeschlagen werden; die übrigen Teilnehmer können sich, wie das bei Waldgottesdiensten üblich ist, auf dem Waldboden  lagern. Die Texte für die gemeinsamen Gesänge sind gedruckt. Der Kinderchor der Klosterkirche, vielleicht auch der unter Leitung des Herrn Kantors Klinkott stehende Handwerkergesangverein werden eine Reihe mehrstimmige Gesänge vortragen. Liturgie und Ansprachen werden von den Herren Pastoren Lic. Balzer und Lic. Dibelius gehalten werden. Den Weg zum Höllengrund wird niemand verfehlen können, da überall in Germersdorf Schulkinder aufgestellt sein werden, um den Fremden Bescheid zu sagen. Sollte das Wetter wiederum ungünstig sein, so wird noch einmal, und zwar wahrscheinlich schon am folgenden Sonntag, der Versuch gemacht werden, den Gottesdienst abzuhalten. Eine weitere Verschiebung wird nicht möglich sein, da die jedesmalige Hinrichtung des Platzes zu viel Arbeit erfordert, sich doch selbst die wertlosen Bretter der kleinen Kanzel, die man nach dem Pfingstfest nicht erst abgebrochen hatte, alsbald von unnützen Händen entwendet worden, sodaß es leider nicht möglich ist, die aufgeschlagenen Bänke längere Zeit hindurch stehen zu lassen.


15. Juni 1907

Die Wetterweisheit der Seeleute sagt uns recht Unholdes über den weiteren Verlauf des diesjährigen Sommers voraus. Die alten Seebären schütteln ihr Haupt und weissagen eine Folge von nassen und stürmischen Monaten. Diese Prophezeiung wird begründet wie folgt: Wir gehen jetzt ´durch eine Zeit „rückdrehender Winde“, die immer die Vorläufer unbeständigen Wetters sind. Rückdrehende Winde nennt der Seemann solche, die entgegengesetzt zur Sonnenbewegung ihre Richtung ändern. Obschon sich das Wetter durch den Mai hindurch recht „widerströmig“ gezeigt hat, wollen wir doch ruhig abwarten, ob die alten Seebären für den ganzen Sommer Recht behalten werden, oder ob der Sommer durch eine Folge schönster Tage ihre Weisheit Lügen strafen wird.


16. Juni 1907

Besondere Strafverzeichnisse über körperliche Züchtigungen der Schulkinder müssen einer Ministerialverfügung zufolge fortan in den Schulen geführt werden und zwar für jede Klasse eins. Es ist dazu ein Formular mit acht Spalten vorgeschrieben, in die folgendes eingetragen werden muß: Laufende Nummer, Tag der Züchtigung, Name und Alter des Kindes, Begründung der Züchtigung, Angabe der vorher vergeblich angewandten Zuchtmittel, Name der züchtigenden Lehrperson, Bescheinigung des Schulaufsichtsbeamten (Rektors). Diese Neuerung wird von den Bezirksregierungen noch mit einer strengen Anweisung an die Lehrer begleitet, welche in der Hauptsache folgendermaßen lautet: „Wegen der großen Wichtigkeit, die dem Strafverzeichnis als Beweismittel bei etwaigen gerichtlichen Untersuchungen wegen Überschreitung des Züchtigungsrechts zukommt, machen wir den Lehrerpersonen in ihrem eigenen Interesse Vollständigkeit und Genauigkeit in den Angaben, namentlich auch bezüglich des Maßes der Züchtigung (Zahl der Schläge), zur strengsten Pflicht. Jede Unterlassung in dieser Hinsicht werden wir, sobald sie zu unserer Kenntnis gelangt, für die Folge mit empfindlichen Disziplinarstrafen ahnden.“


18. Juni 1907

Der Waldgottesdienst bei Germersdorf war gestern vom Wetter aufs freundlichste begünstigt. Eine zahlreiche Menschenmenge aus Guben und aus den umliegenden Ortschaften hatte sich eingefunden; wie wir hören, müssen es nach der Zahl der verteilten Liedertexte zu schätzen, etwa 700 Personen gewesen sein. Der Platz selbst war dank der unverdrossenen Mühewaltung einiger Germersdorfer Gemeindeglieder aufs Neue hübsch ausgeschmückt, die Kanzel reich mit Girlanden umwunden und mit einem großen Kreuz aus Kornblumen verziert. Die klare Luft bot eine entzückende Fernsicht weit über Seitwann, Drenzig und Wallwitz hinaus. Besonders anerkennenswert war es, wie Herr Pastor Dibelius in den einleitenden Bemerkungen, die er dem Gottesdienst vorausschickte, hervorhob, daß der unter Leitung des Herrn Kantor Klinkott stehende Handwerker-Gesangverein seine freiwillig angebotene Mitwirkung aufrecht erhalten hatte, obwohl an diesem Tage der Gesangverein aus Gassen bei ihm zu Besuch war… Die Feier klang nach Vaterunser und Segen und nach dem Schlußvers der Gemeinde in dem Chor aus dem Nachtlager von Granada aus, die vom Wolffschen Quartett geblasen wurde: „Schon die Abendglocken klangen“. Es war eine weihevolle Stunde gewesen, die den Teilnehmern gewiß lange in Erinnerung bleiben wird, wie man denn auch gestern von allen Seiten nur Worte der freudigsten Befriedigung hörte.