1910
Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember2. August 1910
Da werden Weiber zu Hyänen. Dieses Wort aus Schillers Glocke hat sich wieder einmal bewahrheitet bei einer gestrigen Schlägerei im Volksgarten. Eine Frau W. ergriffe einen Feldstein und schlug damit dem Dachdecker M. so derb gegen den Kopf, daß M. eine tiefe klaffende Wunde über dem Auge davontrug und sich sofort in ärztliche Behandlung begeben mußte.
7. August 1910
9. August 1910
Hochwasser. Die gewaltigen Regen in den letzten Tagen haben die Neiße ziemlich hoch anschwellen lassen. Die Fülle des Wassers bietet jetzt von der Neißebrücke aus zur Schützenhausinsel gesehen, einen großartigen Anblick. Das Stürzen der Wellen, das durch die Hemmung des Wassers verursacht wird, läßt die elementare Gewalt des Wassers so recht erkennen. Der Wasserstand ist gegenwärtig ein höherer, als er schon einmal im Juni d.J. war. In der Unterneiße ist das Wasser beträchtlich aus den Ufern getreten und hat die Wiesen überschwemmt. Am Koenig-Park und in den Schießständen erscheint die sonst schmale Neiße als ein mächtiger Strom, der mit gewisser Gewalt die Fluten fortwälzt. Der Hafen-Ladeplatz, auf dem sich der Gleisanschluß befindet und der bekanntlich etwas tiefer als der eigentliche Hafen-Lagerplatz liegt, steht völlig unter Wasser. Es scheint aber, daß der Wasserstand seinen Höhepunkt erreicht hat, denn aus dem oberen Neißegebiet kommen bereits wieder Nachrichten, daß das Wasser langsam fällt.
10. August 1910
Bei dem heutigen Viehmarkt waren 776 Pferde und 1032 Rinder aufgetrieben und dafür 361,60 M Standgeld vereinnahmt… Der Auftrieb ist ein verhältnismäßig schwacher gewesen, obwohl der August-Viehmarkt mit zu den Hauptmärkten zählt.
11. August 1910
Hinrichtung des Raubmörders Senger. Der Maler und Reisende Senger, am 10 Mai in Louisenruh bei Peitz geboren, hatte im August 1908 eine Postkarte an den Versicherungsbeamten August Franke in Berlin geschrieben, auf der er ihm eine schöne Stellung mit Pensionsberechtigung in Aussicht stellte. Franke ging auf die Sache ein und Senger fuhr mit ihm nach Forst. Südlich von Pförten, beim Forsthaus Stern, im Walde des Grafen Brühl, überfiel Senger den Franke, schoß ihm hinterrücks eine Kugel in den Kopf und beraubte ihn. Kurze Zeit darauf wurde Senger als der Täter in Berlin verhaftet und dem hiesigen Untersuchungsgefängnis zugeführt. Im Februar 1909 hatte sich Senger dann vor dem hiesigen Schwurgericht wegen Raubmordes zu verantworten und am 28. Februar wurde das Urteil gefällt, das dahin ging: „Der Angeklagte wird auf Grund des Wahrspruches der Geschworenen zum Tode und dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.“
Gegen dieses Urteil hat Senger durch seinen Verteidiger Revision beim Reichsgericht einlegen lassen, die jedoch verworfen wurde. Darauf beantragte der Verurteilte das Wiederaufnahmeverfahren, das nach weiteren Ermittlungen ebenfalls abgelehnt wurde. Nun ist das Urteil rechtskräftig geworden, da auch der Kaiser von seinem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch gemacht hat. Nachdem dem Delinquenten durch den Staatsanwalt von der bevorstehenden Vollstreckung des Urteils Mitteilung gemacht worden war, äußerte dieser dem Vernehmen nach noch den Wunsch, seine 11jährige Tochter sehen zu wollen; das Kind hatte jedoch dem Wunsche des Vaters nicht entsprochen. Herr Pfarrer Tamaschke weilte gestern längere Zeit bei dem Verurteilten, um ihm noch geistlichen Trost zu spenden. Zu einem Geständnis ließ sich Senger nicht bewegen. Das Urteil wurde heute morgen um 6 Uhr unter Aufsicht des Staatsanwalts Dr. Marcks durch den Scharfrichter Schwietz in Breslau vollstreckt. Weiter waren bei der Hinrichtung zugegen mehrere Justizbeamte, Aerzte und einige Zeugen aus der Bürgerschaft. Der Mörder zeigte selbst angesichts des Schaffots keine Reue und ließ sich ruhig führen. Punkt 6 Uhr ertönte das Armesünderglöckchen und 10 Minuten später war das Urteil vollstreckt. – In den Straßen standen mehrere kleine Gruppen, die noch nicht recht wußten, was vorgeht, langsam sickerte jedoch die Nachricht der Hinrichtung durch – sie war allerdings zum Teil schon gestern abend in der Stadt verbreitet – und die Dächer der an den Hof des Gerichtsgefängnisses angrenzenden Grundstücke hatten sich mit Neugierigen gefüllt. Gleich nach erfolgter Hinrichtung wurde folgendes Plakat an die Anschlagsäulen geheftet:
Bekanntmachung.
Der Maler (Reisende) Albert Senger, geboren am 10. Mai 1865 in Louisenruh bei Peitz, ist durch rechtskräftiges Urteil des Schwurgerichts zu Guben am 23. Februar 1909 wegen Mordes, begangen am 26. August 1908 beim Forsthaus Stern südlich Pförten an dem Versicherungsbeamten August Franke aus Berlin, zum Tode verurteilt worden. Das Todesurteil ist heute durch Enthauptung des Verurteilten im Hofe des Gerichtsgefängnisses zu Guben vollstreckt worden.
Guben, den 10. August 1910.
Der Erste Staatsanwalt.
In Vertretung: Dr. Marcks.
14. August 1910
Eine Stiefmutter darf ihre Kinder nicht züchtigen. Das Reichsgericht hat die Frage: „Darf eine Stiefmutter ihre Stiefkinder züchtigen?“ verneint. Nach §§ 1631 und 1634 des Bürgerlichen Gesetzbuches steht einer Mutter nur gegenüber ihrem ehelichen Kindes das gleiche Züchtigungsrecht zu, wie dem Vater des ehelichen Kindes, nicht aber gegenüber ihren Stiefkindern.
23. August 1910
Zwei nette Früchtchen sind der 6jährige Helmut Fi. Und der 7jährige Artur Wi. Sie sind in den Villen-Neubau der Firma Otto Hartmann am Schemelsweg eingebrochen und haben diese innen demoliert, indem sie Ofenkacheln zertrümmerten, Holz zerbrachen, halbfertige Öfen einrissen usw. Der von ihnen angerichtete Schaden ist auf 200 M abgeschätzt worden. Das Verfahren gegen sie ist eingeleitet.
25. August 1910
Eines gesunden Schlafes erfreute sich ein hiesiger Bürger, der gestern nachmittag zur Stadtverordneten-Versammlung als Zuhörer erschienen war. Die lange Erörterung über die Regulierung des Kastaniengrabens wirkte auf diesen Zuhörer derart ermattend, daß er unversehens in Morpheus Armen entschlummerte. Inzwischen ging der Kampf der Meinungen über den Ausbau des Kastaniengrabens, insbesondere darüber, ob Pflasterung oder Chaussierung, ob Mosaikpflaster oder Bordschwellen, in hohen Tönen weiter. Über 15 allein schon durch ihr Alter geheiligte Alleebäume wurde das Todesurteil gesprochen und der stille Mann auf der Zuhörerbank schlief den Schlaf des Gerechten, der seine Hände in Unschuld wäscht, weiter. Ein viertel Dutzend Regulative und Gebührenordnungen wurden angenommen, Gelder aus der Bürger Tasche bewilligt, den Forstbeamten die Leviten gelesen, weil sie die beerensuchende Jugend (wohl so ganz unschuldigerweise doch nicht!) inkommodieren und gerade war man dabei, sich über die respektabeln Überschüsse der Städtischen Lichtwerke zu freuen, als aus der Ecke, die Stimme des Referenten übertönend, ein Geräusch hörbar wurde, als ob eine Sägemühle in Gang gesetzt worden wäre. Ein Mann der „öffentlichen Meinung“, dem sehr viel daran gelegen war, die über den Etatsanschlag hinausgehenden Überschüsse ziffernmäßig festzuhalten, ging dem sonderbaren Geräusch nach, kam auch zu dem Fremden in der Ecke, stellte mit diesem, unter der Heiterkeit des versammelten Kollegii, energische Wiederbelebungsversuche an, die schließlich auch von Erfolg gekrönt waren. Mit glücklichem Lächeln schlug dieser die Augen auf – er hatte im Stadtratssaal geträumt – geträumt von baldiger Steuerermäßigung!
30. August 1910
Die endgiltigen Ergebnisse der außerordentlichen Viehzählung vom 1. Dezember 1909 sind nunmehr amtlich zusammengestellt. Es wurden gezählt im Stadtkreise Guben 2760 Gehöfte, davon 975 mit Viehstand. Viehhaltende Haushaltungen gab es 1049. Insgesamt waren vorhanden: Pferde 648, Rindvieh 883, Schafe 29 und Schweine 1722. Der Landkreis Guben hatte 6174 Gehöfte, davon 5643 mit Viehstand und 6487 viehhaltende Haushaltungen. Insgesamt wurden gezählt: 4829 Pferde, 25418 Stück Rindvieh, 7068 Schafe und 26254 Schweine. Eine tabellarisch geordnete Überschrift, die auch einen Vergleich mit anderen kreisen bietet, veröffentlichen wir morgen.
31. August 1910
Aufgefundener Ballon. In einer Waldschonung, etwa 30 Meter von der Chaussee nach Cottbus, an der Gabelung Guben-Bärenklau-Lübbinchen, wurde gestern nachmittag von einem Pilzsucher die Hülle eines anscheinend in der Luft geplatzten und dann abgestürzten Ballons gefunden. Man glaubt, daß es sich um einen russischen Registrierballon handelt. Die Hülle trägt die Aufschrift „St. Petersburg“. Der Finder lieferte die Ballonhülle bei der Polizeibehörde in Guben an, die sofort den Verein für Luftschiffahrt in Berlin von dem Funde verständigte.