Gubener Zeitung

Die Gubener Zeitung, von 1871 bis 1944 kann auf Rollfilm in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek Guben eingesehen werden.

1910

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1. Juli 1910

Zu lebhaften Klagen gibt das Verhalten der Kinder in den Parkanlagen des Schützenhauses Anlaß. Sie beschränken sich nicht auf den ihnen zur Verfügung stehenden Spielplatz, sondern klettern auch über die Gitter, die die Rasenflächen abschließen, treten Gras und Blumen nieder und reißen ganze Zweige ab. An alle Eltern wird daher die dringende Bitte  gerichtet, den Kindern strenge Anweisung zu geben, daß sie sich in den Parkanlagen nur auf dem Spielplatz aufhalten, andererseits die vorhandenen Spazierwege nicht verlassen sollen. Ebenso mache man auch die Kinderwärterinnen aufmerksam, daß sie strengere Obacht geben. Es macht tatsächlich einen häßlichen Eindruck auf den Spaziergänger, wenn er die Verunstaltungen der Anlagen mit ansehen muß.


2. Juli 1910

Die Eisproduktion im Schlachthofe. An Kristalleis wurden fabriziert und verkauft: 2658 Zentner (1909: 598 Zentner). Die Temperatur der Fleischkühlhalle, deren Zustand durch ein selbstregistrierendes Hygrometer, ein elektrisches Fernthermometer, ein selbstregistrierendes Thermometer und ein Psychometer kontrolliert wird, wurde hierbei auf + 1° C. bis + 2° C. bei 75% relativem Feuchtigkeitsgehalt gehalten. Es ist demnach die Gesamtleistung der Kühlmaschinenanlage ein günstiges Zeugnis für die gute Leistungsfähigkeit der Kühlapparate. Außer diesem gelieferten Eis konnten weitere im Monat Juni abgeforderte 800 Zentner Eis nicht geliefert werden, gewiß ein Zeichen für die in diesem Jahre im Nahrungsmittelgewerbe allgemein herrschenden Eisnot, als deren Symptom auch die Tatsache von Interesse ist, daß im Monat Juni ein Vertreter der Breslauer Produktenbank im Schlachthofe anwesend war, um die Gesamtproduktion an Eis zu einem wesentlich hohen Preise behufs Ausfuhr nach Breslau zu pachten.

Der Kaiser als Pate. Nach einer Mitteilung des Geh. Zivilkabinetts ist die Bitte eines Vaters, der Kaiser möchte bei seinem achten Sohne eine Patenstelle übernehmen, mit der Begründung abgelehnt worden, daß die Reihenfolge der Knaben durch die Geburt eines Mädchens, der Zwillingsschwester des vierten Knaben, unterbrochen worden ist. Der Amtsvorgänger des nun ebenfalls zurückgetretenen Ministers von Moltke hatte in einem Runderlasse von 1895 die Ansicht ausgesprochen, daß die mit und neben einem Sohne – als Zwillingsschwester – erfolgte Geburt einer Tochter als eine die Reihenfolge von sieben, bezw. acht Knabengeburten unterbrechende Dazwischenkunft eines Mädchens nicht zu erachten ist. Dieser Runderlaß ist jetzt infolge des erwähnten Bescheides aufgehoben worden. Es sollten damit für die Zukunft alle Gesuche um Übernahme einer kaiserlichen Patenstelle bei der Geburt eines siebenten oder achten Sohnes – falls zwischenzeitlich Zwillinge, und unter diesen Mädchen, geboren waren – ohne weiteres abgelehnt werden.


3. Juli 1910

Im Monat Juni sind im hiesigen Schlachthofe geschlachtet und untersucht worden: 26 Bullen, 12 Ochsen, 100 Kühe, 39 Jungrinder, zusammen 177 Rinder (im Vorjahre 197), 548 Kälber (585), 1510 Schweine (1592), 154 Schafe (140), 13 Ziegen (7), 33 Zickel (26), 5 Pferde (6), 1 Hund (-), insgesamt 2441 Schlachttiere (2553). Hiervon wurden beanstandet: 8 ¼ Rinder, 7 2/4 Schweine, 3 Kälber, 1 Ziege und zwar wegen Tuberkulose 2 ¼ Rinder, 3 2/4 Schweine, 1 Kalb; Finnen 3 Rinder, allgemeine Wassersucht 1 Rind, Knochenbrüche 2 Rinder; Kalkablagerungen in der Muskulatur 2 Schweine; Rhachitis 1 Schwein;

Geschlechtsgeruch 1 Schwein; nicht genügende Entwicklung 2 Kälber, im Verenden getötet 1 Ziege. Von diesen beanstandeten Tieren wurden a) im rohen Zustande auf der Freibank verkauft 6 Rinder, 5 ¾ Schweine, 2 ¼ Kälber; b) im gekochten Zustande auf der Freibank verkauft 1 ¼ Rind, ¾ Schweine, ¾ Kälber; c) als zum Genusse für Menschen untauglich vernichtet 1 Rind, 1 Ziege. An einzelnen Körperteilen wurden als untauglich beanstandet und vernichtet: 7 Köpfe, 3 Zungen, 771 Lungen, 6 Herzen, 7 Magen, 81 Därme, 4 Netze, 81 Gekröse, 59 Lebern, 19 Milzen, 30 Nieren, 8 Euter, 11 Gebärmütter, 6 Brustfelle, 4 Bauchfelle, 463 kg Fleischteile. Tuberkulose fand sich bei 16,38%  der Rinder, 4,77% der Schweine, 0,73% der Kälber.


6. Juli 1910

Vom alten Gottesacker an der Stadtkirche. Als heute vormittag in der Nähe des Kirchturms in der Richtung auf das Restaurant zum Reichshof die Grube für einen umzusetzenden Gully  ausgehoben wurde, stieß man in ½ Meter Tiefe auf die Reste eines alten Begräbnisses und unterhalb desselben nochmals auf zwei zusammengedrückte Särge. Die unterste Gruft lag 2,30 Meter unter der jetzigen Straßenoberfläche dicht über dem gewachsenen Lehmboden. Die Skelettreste wurden geborgen und dem alten Friedhof zugeführt.


14. Juli 1910

Der Astronom Johann Gottfried Galle, der am Sonntag zu Potsdam im Alter von 98 Jahren verstorben ist, war, wie uns mitgeteilt wird, vor mehr als sieben Jahrzehnten Lehrer am hiesigen Gymnasium, das ihm zu seinem 95. Geburtstage einen Glückwusch sandte. In dem Antwortschreiben gedachte er der einstigen Kollegen, die nicht mehr sehr vielen der jetzt hier lebenden aus ihrer Jugendzeit her noch bekannt sind.


24. Juli 1910

Ein alter märkischer Erntebrauch. In der Erntezeit herrscht in vielen Gegenden der Mark

die Sitte, den „Alten“ zu bringen, sobald das letzte Korn gemäht und gebunden ist. Der

„Alte“, dem vielfach die Gestalt eines Mannes gegeben wird, ist die letzte Getreidegarbe.

Während man sie in einigen Gegenden an der Ecke des Stoppelfeldes stehen läßt,  wird sie

in anderen wieder in festlichem Zuge in das Herrenhaus gebracht und löst gleich dem

Erntekranz die vorjährige Garbe ab. Diese Erntesitte ist aus der heidnischen Vorzeit in

unsere Tag überkommen und bedeutet nichts anderes, als den Göttern, welche die Ernte

wohlgelingen ließen,  ihren Anteil daran zu geben, um sich auch ferner ihres Segens zu

sichern. Mit der märkischen Sitte deckt sich ein in Schlesien bestehender Brauch,

demzufolge der Bauer das letzte, aus neuem Korn gebackene Brot nicht für seinen

Haushalt verwendet sondern einem Armen schenkt. Mit dem Bringen des „Alten“ ist stets

eine ländliche Festlichkeit verbunden.


30. Juli 1910